Charles Darwin war ein Geschichtenerzähler

Wenn die Menschen etwas können, dann Geschichten zu erzählen. Matthias Glaubrecht weiß: „Unter den Wissenschaftlern sind alle Geschichtenerzähler – mit den Evolutionsbiologen als sicher begnadetsten unter ihnen.“ Allen voran und zuerst Charles Darwin mit seiner die Fantasie beflügelnden Idee vom Kampf ums Dasein und dem Überleben der Tauglichsten. Auch die gängigen Darstellungen der menschlichen Evolution sind Geschichten. Diese schildern üblicherweise in erzählerischer Form jene Abfolge von Ereignissen, die aus einem baumlebenden Affen uns, den bodenständigen Menschen entstehen ließ. Diese Geschichten sind nicht zuletzt deshalb fesselnd, weil die Menschen selbst Gegenstand dieser Erzählung sind. Solche Geschichten haben, egal, wer sie erzählt und wann sie erzählt wurden, stets eine gemeinsame Form. Immer sind es Heldengeschichten, die sich alle mehr oder weniger ähneln. Matthias Glaubrecht ist Evolutionsbiologe, Systematiker und Wissenschaftshistoriker.

Eine Geschichte ist mehr als ihre einzelnen Episoden

Es sind Variationen eines Themas, vielfache Verwandlungen einer Erzählung mit einer zugrunde liegenden „story line“, einem gemeinsamen roten Faden. Auf diesen gemeinsamen erzählerischen Anteil hat zuerst die amerikanische Anthropologin Misia Landau Anfang der 1980er Jahre hingewiesen. Und sie hat betont, dass dadurch viele wissenschaftliche Theorien gerade über den Ursprung der Menschen der Legendenbildung besonders zugänglich sind. Diese Legenden aber sind von der märchenhaften Rahmenhandlung ebenso abhängig wie von den tatsächlichen Fakten.

Demnach stecken mehr Kunst und Kultur auch in den Naturwissenschaften, als man gemeinhin annimmt. Und die konzeptionellen Vorstellungen auch in der Wissenschaft basieren letztlich vielfach auf Erzählungen, und der urmenschlichen Eigenschaft, wie man Geschichten erzählt. Misia Landau meint: „Eine Geschichte zu erzählen ist mehr als eine Aneinanderreihung einzelner Episoden.“ Entscheidend seien die Zusammenhänge, die sich zwischen den einzelnen Ereignissen herstellen lassen.

Bei der Evolution geht es um vier Schlüsselereignisse

Matthias Glaubrecht stellt fest: „Just darin unterscheiden sich die Erzählungen. Abhängig jeweils vom Fokus und von den Überzeugungen jener Forscher, denen wir diese Geschichten letztlich verdanken.“ Im Kern geht es bei der Hominidenevolution um einige Schlüsselereignisse, deren zeitliche Abfolge seit den Anfängen der Evolutionsbiologie umstritten ist. Dazu zählen: Von den Bäumen herab auf den Boden, der aufrechte Gang, Größenzunahme des Gehirns, Entstehung von Kultur und Zivilisation.

Diese vier Sachverhalte werden in den verschiedenen Varianten der Geschichte vom Ursprung des Menschen immer wieder auf unterschiedliche Weise verknüpft. Die erzählerische Struktur und die Sprache lehnen sich dabei an volkstümliche Heldensagen an. Das hat Misia Landau beim minutiösen Abgleich der Erzählungen entdeckt. Verglichen mit alten und modernen Volksmärchen finden sich stets ähnliche Grundelemente. Üblicherweise entwickeln sich die gängigen Heldenmythen in insgesamt neun Schritten. Sie lassen sich auf ein Drama in drei Akten verkürzen: Aufritt des Helden, seine Herausforderung, sein Triumph. Quelle: „Das Ende der Evolution“ von Matthias Glaubrecht

Von Hans Klumbies