Die Ursprünge der heute weitreichenden Erklärungsansprüche, die im Zusammenhang mit dem Informationszeitalter stehen, liegen in der sogenannten Kybernetik. Sie wurde als interdisziplinäres Forschungsgebiet auf einer Reihe von Konferenzen etabliert, die von 1946 bis 1953 in den USA stattfanden. Markus Gabriel fügt hinzu: „Federführend war der Neurophysiologe Warren McCulloch (1898 – 1969). Zu diesem Umfeld gehörten viele bekannte Wissenschaftler, insbesondere der Mathematiker Norbert Wiener (1894 – 1964), der den Ausdruck „Kybernetik“ maßgeblich prägte.“ Dazu gehörte auch der Mathematiker und Logiker John von Neumann (1903 – 1957), der neben Alan Turing (1912 – 1954) als der bedeutendste Begründer der Informatik gilt. Markus Gabriel hat seit 2009 den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne. Zudem ist er dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.
Das Denken wird in Form von Regelkreisen simuliert
Die Kybernetik hat vielfältige Verästelungen, und sie liegt auch dem Konstruktivismus zugrunde. Dieser wurde maßgeblich von dem chilenischen Biologen Humberto Maturana und dem Psychologen Paul Watzlawick (1921 – 2007) entwickelt. Die Grundidee der Kybernetik lautet, dass man viele Prozesse als Steuerungsvorgänge beschreiben kann, für die sich Regelkreise entwerfen lassen. Dies gilt auch für Bereiche des menschlichen Denkens. Diese kann man mittels formalter Methoden und Techniken studieren und auf andere Regelkreise übertragen.
Damit ist man bei der Ausgangslage der Forschung über Künstliche Intelligenz (K.I.) angelangt. Dort hat es technische Durchbrüche im Zusammenhang mit der militärischen Verfeinerung der Nachrichtentechnik gegeben. Zudem ist es gelungen, immer mehr Bereiche des menschlichen Denkens in der Form von Regelkreisen zu simulieren. Allerdings sollte man immer auf den feinen Unterschied achten, der zwischen dem Denken und einer Modellbildung besteht. Hierbei ist zu beachten, dass sich Menschen stets ein Bild von ihrer Stellung in einer nicht menschlichen Umgebung machen.
Menschen verschiedener Epochen denken unterschiedlich
Dabei unterstellen sie, dass ihre Umwelt für sie zugänglich, das heißt bis zu einem bestimmten Maß erkenn- und beschreibbar ist. Markus Gabriel erklärt: „Ich nehme an, dass die Erde nicht erst eben von einem übermächtigen Wesen geschaffen wurde, das mit meine Erinnerungen mitsamt einer planetarischen Vorgeschichte vorgaukelt.“ Martin Heidegger nennt das gesamte Annahmensystem, ohne das keine jemals einen vernünftigen Gedanken denken könnte, das „Seinsverständnis“.
Dieses besteht darin, dass man sich ein Umgebungsbild der Situation macht und dieses Umgebungsbild als Handlungsanweisung versteht. Matin Heidegger zufolge verstehen Menschen sich in verschiedenen Epochen auf eine teils radikal verschiedene Weise. Vieles von dem, was Menschen im 14. Jahrhundert selbstverständlich erschien, kann man heutzutage nur mit den allergrößten Schwierigkeiten überhaupt nachvollziehen. Dasselbe gilt auch auf einer synchronen Ebene etwa für anders funktionierende Kulturräume oder entlegene Lebensformen, die sich gegenseitig stets nur unzureichend verstehen. Quelle: „Der Sinn des Denkens“ von Markus Gabriel
Von Hans Klumbies