Von Katzen kann man etwas lernen

Die Philosophie war über weite Strecken ihrer Geschichte die Suche nach Wahrheiten, die beweisen sollten, dass nicht alles endlich sei. John Gray nennt ein Beispiel: „Platons Lehre von den Formen – unveränderlichen Ideen, die in einem ewigen Reich existieren – war eine mystische Vision, in der die menschlichen Werte vor dem Tod sicher waren.“ Da Katzen zwar zu wissen scheinen, wann es an der Zeit ist, zu sterben, aber nie an den Tod denken, haben sie kein Bedürfnis nach diesen Hirngespinsten. Wenn sie sie verstehen könnten, hätte die Philosophie sie nichts zu lehren. Einige wenige Philosophen haben erkannt, dass man von Katzen etwas lernen kann. John Gray lehrte Philosophie unter anderem in Oxford und Yale. Zuletzt hatte er den Lehrstuhl für Europäische Ideengeschichte an der London School of Economics inne.

Das Selbst ist eine Illusion

Arthur Schopenhauer (1788 – 1860) war unter anderem für seine Liebe zu Pudeln berühmt. Von dieser Art hielt er sich seit seinen Studentenjahren mehrere, die er alle bei denselben Namen nannte – in der Öffentlichkeit „Butz“, sonst „Atman“. Er hatte aber mindestens eine Katze zur Gefährtin. Als er 1860 an Herzversagen starb, fand man ihn zu Hause auf seiner Couch liegend – neben einer namenlosen Katze. Arthur Schopenhauer untermauerte seine Theorie, dass das Selbst eine Illusion sei, anhand seiner Haustiere.

John Gray erläutert: „Menschen betrachten Katzen als eigenständige Individuen, wie sie selbst es zu sein glauben. Aber für Schopenhauer war das ein Irrtum, da die einen wie die anderen jeweils Ausprägungen einer platonischen Form seinen.“ Nämlich eines Archetyps, der in vielen verschiedenen Ausprägungen widerkehre. Letztlich sei jedes dieser scheinbaren Individuen eine vergängliche Verkörperung von etwas Fundamentalerem – dem unsterblichen „Willen zum Leben“.

Jede Katze ist einzigartig

Dieser Wille zum Leben ist Arthur Schopenhauer zufolge das Einzige, was wirklich existiert. Seine Auffassung, Katzens seien flüchtige Schatten einer „Ewigen Katze“, hat einen gewissen Charme. Aber wenn John Gray an Katzen denkt, die er gekannt hat, kommen ihm nicht zuerst ihre Gemeinsamkeiten in den Sinn, sondern das, was sie voneinander unterschied: „Manche Katzen sind meditativ und ruhig, andere überaus verspielt; manche vorsichtig, andere rücksichtslos abenteuerlustig; manchen still und friedfertig, andere laut und in hohem Maße durchsetzungsfähig.“

Jede Katze hat ihre eigene Individualität – mit eigenen Vorlieben und Gewohnheiten. John Gray stellt fest: „Katzen haben ein Wesen, das sie von anderen Geschöpfen unterscheidet – nicht zuletzt von uns selbst.“ Niemand, der mit Katzen gelebt hat, kann sie als austauschbare Ausprägungen eines einzigen Typs betrachten. Jede Katze ist einzigartig und mehr Individuum als so mancher Mensch. Dennoch war Arthur Schopenhauer mit seinem Tierverständnis humaner als andere Philosophen. Quelle: „Katzen und der Sinn des Lebens“ von John Gray

Von Hans Klumbies