Der renommierte Münchner Ökonom Hans-Werner Sinn stellt sich die Frage, welche Folgen die gewaltige Geldvermehrung in den Krisenländer auf den Rest Europas hat. In der Öffentlichkeit wird meistens nur über das Thema Inflation gesprochen. Politiker und Analysten warnen vor der Inflationsgefahr, während die Banker der Europäischen Zentralbank (EZB) beschwichtigen, dass es keinerlei Anzeichen für einen Trend in die Inflation gebe. Viel wichtiger ist laut Hans-Werner Sinn allerdings die Frage, ob die Bürger der europäischen Kernländer, allen voran Deutschland, für die Güter, die sie in den Süden Europas geliefert haben, irgendwann einmal eine reale Gegenleistung bekommen werden. Hans-Werner Sinn ist seit 1984 Ordinarius in der volkswirtschaftlichen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München. Im Jahr 1999 wurde er Präsident des ifo Instituts für Wirtschaftsforschung in München und Leiter des CESifo-Forscher-Netzwerks, weltweit eines der größten seiner Art.
Die Notenbanken des Südens druckten in der Krise in riesigem Umfang elektronisch Geld
Für Hans-Werner Sinn steht fest, dass in den Kernländern des Eurogebiets sehr viel Liquidität anlandete. Dieser Überschuss an Liquidität und Krediten trieb dort die Zinsen auf historische Tiefststände und leitete zumindest in Deutschland einen Bauboom ein. Trotz der Aufblähung in den Krisenländern bis zum Ende des Jahres 2011 ist die Geldmenge im Euroraum nicht oder nur wenig gegenüber dem allgemeinen Trend angestiegen. Dies bestätigt die von der Europäischen Zentralbank immer wieder geäußerte Auffassung, dass sie die Gefahren einer Inflation im Griff habe.
Hans-Werner Sinn weist darauf hin, dass die Notenbanken des Südens in der Krise in riesigem Umfang Geld elektronisch gedruckt und verliehen haben. Damit gaben sie ihrer Wirtschaft weiterhin die Möglichkeit, im Norden Importgüter zu kaufen und Schulden zu tilgen. Die Notenbanken der Kernländer dagegen hörten nicht nur auf, Refinanzierungskredite zu vergeben, sondern verschuldeten sich immer mehr bei den Geschäftsbanken ihrer Gebiete, um das überschüssige Geld, das aus dem Süden übergelaufen war, abzuschöpfen.
Die Target-Kredite waren ein Rettungsschirm vor dem Rettungsschirm
Das Geld kommt laut Hans-Werner Sinn in die Wirtschaft, indem die Zentralbank Vermögensobjekte wie zum Beispiel Gold oder Wertpapiere von den Banken kauft oder indem sie Refinanzierungskredite gibt. Hans-Werner Sinn vertritt die These, dass für die Gläubigerländer, allen voran Deutschland, die Target-Kredite ein Risiko sind, wie es auch andere öffentliche Hilfskredite sind. Wenn die Schuldner nicht zurückzahlen können, muss man die Forderungen abschreiben, wodurch die Güter und Vermögensobjekte, die mit dem Target-Geld in den Kernländern erworben wurden, nie wieder zurückkommen.
Das Risiko bei den Target-Krediten ist für Deutschland exakt dasselbe, als wenn der neue Rettungsfonds EMS Staatspapiere der Krisenländer kaufen würde. Immer ist Deutschland mit seinem Kapitalanteil beteiligt. Hans-Werner Sinn erklärt: „Die Target-Kredite waren ein Rettungsschirm vor dem Rettungsschirm. Sie haben grundsätzlich die gleichen Wirkungen auf die zu rettenden Länder und bringen für die Retter exakt die gleichen Risiken mit sich. Der einzige feine Unterschied ist nur, dass sie im Gegensatz zu den offenen Rettungskrediten hinter dem Rücken der Öffentlichkeit vom EZB-Rat gewährt und nicht von den Parlamenten bewilligt wurden.“
Von Hans Klumbies