Die Mittelschicht in Deutschland hat Angst, Statusangst, Angst vor dem gesellschaftlichen Abstieg. Das hat der Hamburger Sozialwissenschaftler Berthold Vogel herausgefunden, der folgendes behauptet: „Auf der Tagesordnung vieler, die etwas zu verlieren haben, stehen nicht mehr Karriereplanung, Vorteilsnahme und Zugewinn, sondern der Kampf um Wohlstandssicherung und Klassenerhalt.“
In der Mittelschicht dreht sich alles um ihren Status
Deshalb versucht die Mittelschicht in der unermüdlichen Dressur ihrer Kinder, ihren Status in die nächste Generation hinüberzuretten. Sie weiß aus eigener Anschauung, dass eine gute Ausbildung die Voraussetzung für den beruflichen Erfolg des Nachwuchses ist, allerdings gibt es keine Garantie mehr dafür. Der Status war für die Menschen, die sich zur Mittelschicht zählen, von je her wichtig. Er beherrscht das Zentrum ihres Denkens, Handelns und ihres Selbstwertgefühls. Dieses Statusdenken der Mittelschicht hat der deutschen Gesellschaft Dynamik und ihren Wohlstand gebracht. Eifrig strebten sie einst nach oben. Heute kämpfen diese Menschen nur noch darum, in der sozialen Hierarchie nicht abzusteigen.
Wer von der Mittelschicht in die Unterschicht hinabsteigt, dem zeigt sich ein völlig anderes Bild. Hier existiert das Streben nach sozialem Aufstieg und der Mehrung des Wohlstands nicht mehr. Das Institut für Demoskopie Allensbach hat festgestellt, dass am unteren Rand der deutschen Gesellschaft die Ohnmacht und damit der Hang zur Selbstaufgabe regieren. Die Chefin des Instituts, Renate Köcher, sagt: „Dieser Statusfatalismus ist der Eckstein der derzeitigen Bewusstseinslage der unteren Sozialschichten.“ Nur 26 Prozent des Prekariats glaubt, dass Aufstieg noch immer möglich ist.
Der Glaube an den sozialen Aufstieg ist verloren gegangen
Die klassische Arbeiterklasse, die aufstiegsorientiert war, gibt es nicht mehr. An ihre Stelle ist ein Herr von Empfängern staatlicher Transferleistungen des Staates getreten und ein neues Dienstleistungsproletariat, das von seinem Einkommen nicht überleben kann. Diese Unterschicht hat das Vertrauen in die Zukunft gänzlich verloren. Die Mitte der Gesellschaft ist verunsichert, der untere Rand hat sich Selbst aufgegeben. Die Bevölkerung in Deutschland zerbröselt zwischen zwanghaftem Festhalten am Status und Statusfatalismus. Die nervöse Mittelschicht ist es, die für das gesellschaftliche Auseinanderdriften die Hauptschuld trägt. Der Arbeitsplatz ist für die breite Mitte der Gesellschaft inzwischen zu einem Kampfplatz der Sicherung ihres Überlebens geworden.
Völlig unbeeindruckt von Statusängsten oder Statusfatalismus bleibt nur die deutsche Oberschicht. Sie interessiert sich nicht für die Bindungskraft der Gesellschaft, weil sie sich international an ihresgleichen orientiert. Hoch mobil, gut ausgebildet, materiell abgesichert. Der Soziologe Lord Ralf Dahrendorf hatte sie einst als neue „globale Klasse“ bezeichnet. Für den Rest der deutschen Gesellschaft gilt – von der Sehnsucht nach der Verbesserung des eigenen Status, vom Glauben daran, dass jeder die soziale Leiter ein Stückchen weiter nach oben steigen kann, ist nicht mehr viel übrig geblieben. Wenn es der Statushunger ist, der die Bundesbürger auf ein gemeinsames Wertesystem einschwört, dann haben die Deutschen an Gemeinsamkeiten kaum noch etwas zu verlieren.
Von Hans Klumbies