Es gibt keine Zeitvariable

Die Gleichungen der Schleifen-Quantengravitation, an denen Carlo Rovelli arbeitet, sind eine moderne Version von John Wheelers (1911 – 2008) und DeWitts (1923 -2004) Theorie. In ihnen gibt es keine Zeitvariable. Die Variablen der Theorie beschreiben die Felder, welche die gewöhnliche Materie bilden, die Photonen, Elektronen, andere Bestandteile der Atome und das Gravitationsfeld, alle auf gleicher Ebene. Carlo Rovelli erläutert: „Die Loop-Theorie ist keineswegs eine „vereinheitlichte“ Theorie. Sie erhebt mitnichten den Anspruch, die endgültige Theorie der Wissenschaft zu sein.“ Sie besteht aus kohärenten, aber verschiedenartigen Teilen und will „nur“ eine kohärente Beschreibung der Welt liefern, so wie man sie bisher verstanden hat. Die Felder manifestieren sich in granularer Form: Elementarteilchen, Photonen und Gravitations- oder „Raumquanten“. Seit dem Jahr 2000 ist Carlo Rovelli Professor für Physik an der Universität Marseille.

Die Welt hat kein „Außen“

Diese elementaren Körnchen leben nicht eigetaucht im Raum, vielmehr bilden sie ihn. Besser: Die Räumlichkeit der Welt ist das Netzwerk ihrer Wechselwirkungen. Die Körnchen leben nicht in der Zeit. Sie wechselwirken unablässig miteinander, ja ihre Existenz ist nur fasslich in Begriffen unablässiger Wechselwirkungen. Dieses Wechselwirken ist das Geschehen der Welt: Es ist die minimale elementare Form der Zeit. Diese ist weder in einer Linie ausgerichtet noch in einer Linie angeordnet, auch nicht in einer gekrümmten oder ebenen Geometrie der Art, wie Albert Einstein sie untersuchte.

Die Dynamik dieser Wechselwirkungen verläuft probabilistisch. Die Wahrscheinlichkeiten, das etwas geschieht – das Geschehen von etwas anderem vorausgesetzt –, lassen sich im Prinzip mit den Gleichungen der Theorie berechnen. Die Welt ist wie eine Menge von Standpunkten in Bezug auf die jeweils anderen. Die Welt von außen zu betrachten ist Unsinn, weil die Welt kein „Außen“ hat. Die Quanten des Gravitationsfeldes leben auf der Planck-Skala.

Der Begriff „Spin“ beschreibt die Raumkörnchen

Es sind die elementaren Körnchen, aus denen sich die bewegliche Leinwand zusammensetzt, zu den Albert Einstein Isaac Newtons absoluten Raum und seine absolute Zeit uminterpretiert hat. Carlo Rovelli fügt hinzu: „Sie und ihre Wechselwirkungen bestimmend die Ausdehnung des Raumes und die Dauer der Zeit.“ Die Beziehungen räumlicher Nachbarschaft binden die Raumkörnchen in Netzwerken, sogenannte Spin-Netzwerke ein. Der Begriff „Spin“ stammt aus der Mathematik, welche die Raumkörnchen beschreibt.

Sie deckt sich mit jener von den Symmetrien des Raumes. Eine einzelne Schleife in einem Spin-Netzwerke heißt „loop“. Und diese Loops geben der Theorie ihren Namen. Die Netzwerke ihrerseits gehen in diskreten Sprüngen ineinander über. In der Theorie werden sie als sogenannte Spin-Schäume beschrieben. Das Sich-Vollziehen dieser Sprünge formt die Gewebe, die makroskopisch als die glatte Struktur der Raumzeit erscheinen. Mikroskopisch beschreibt die Theorie eine schwingende, probabilistische und diskrete „Quanten-Raumzeit“. Quelle: „Die Ordnung der Zeit“ von Carlo Rovelli

Von Hans Klumbies