Das Geschlecht erheischt öffentliche Anerkennung

Ein schlimmes Unrecht, das man im „Gender Trouble“ zufügen kann, besteht in der Verkennung des wahren, selbstbestimmt festgelegten Geschlechts. Alexander Somek erklärt: „Egal, ob das Geschlecht als freiwillig festgelegt oder als umsichtig entdeckt gilt, es erheischt öffentliche Anerkennung.“ Vor dem Hintergrund dieses Liberalismus gilt jegliches sture Festhalten in der binären Unterscheidung der Geschlechter als ein Affront gegen die freie Selbstbestimmung der Person und damit als ein Unrecht. Aus der Sicht der zeitgenössischen Soziologie, die unsere Gesellschaft als solche von Singularitäten versteht, ist diese Entwicklung nicht weiter überraschend. Sie ist konsistent mit der Vermengung bürgerlicher und romantischer Motive in der Kultur der „Spätmoderne“. Alexander Somek ist seit 2015 Professor für Rechtsphilosophie und juristische Methodenlehre an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.

Alle müssen einzigartig sein

Alexander Somek erläutert: „Bürgerlich ist das Streben nach Status und nach öffentlich vermittelter Selbstliebe. Romantisch hingegen ist die Weigerung, sich mit traditionellen Rollen zu identifizieren.“ Damit wird die soziale Inszenierung der Authentizität und der Unverwechselbarkeit individueller Personen zu einem allgemeinen Lebensideal. Ihm wächst kardinaler Charakter zu, weil sich alles um es dreht. Alle müssen einzigartig sein. Die Wahl eines originellen Geschlechts ist ein Mittel dazu. Denn kaum etwas bestimmt die Identität von Personen unmittelbarer und tiefgreifender als die Geschlechtlichkeit.

Allerdings ist die Struktur der Anerkennung des individualisierten Geschlechts einigermaßen vertrackt. Geschlechtlichkeit ist sozial zunächst binär codiert. „Man“ ist entweder männlich oder weiblich. Es ist kein Zufall, dass die Bestimmung des bislang ausgeschlossenen Dritten nicht leichtfällt. Sie ist aber vorauszusetzen, damit die Identitätsbeleidigung möglich ist. Nichts weniger steht auf dem Spiel als die Bedingung ihrer Möglichkeit. Das Geschlecht, das jemand verkörpert ist also individuell festgelegt.

Das Einmalige ist anders als alles andere

Dadurch kann die Person, als dessen Träger sie fungiert, dieses als ebenso einzigartig wie sich selbst verstehen. Das Geschlecht kann, so gesehen, zu sich selbst sagen, dass es ganz und gar einmalig sei. Alexander Somek stellt fest: „Was ganz und gar einmalig ist, ist anders als alles andere. Dies ist unabhängig davon, ob dieses andere selbst einmalig ist oder nicht.“ Auch in einem Raum von Replikas bleibt das Einmalige einmalig. Theodor W. Adorno sagte über das „Nicht-Identische“, dass es sich dem Begriff entzieht.

Kein Prädikat vermag auszusagen, was es ist. Jede Prädikation ginge an seinem Wesen vorbei. Zwischen ihm und dem Prädikat herrscht ein Widerstreit. Das Nicht-Identische hat sein Sein darin, weder das eine noch das andere zu sein. Es ist immer verschieden. Deswegen muss es sich dem Begriff verweigern. Sonst würde es festgelegt. Dieser Begriff besteht darin, weder das eine noch das andere zu sein. Um ganz bei sich zu sein, muss es sich also auch noch von sich selbst differenzieren. Quelle: „Moral als Bosheit“ von Alexander Somek

Von Hans Klumbies