Moleküle und Atome existieren

Wärme ist die mikroskopische Bewegung der Moleküle. In einem heißen Tee werden die Moleküle heftig zappeln, während sie sich in einem kalten Tee kaum rühren. Und noch weniger bewegen sie sich in einem Eiswürfel, der noch kälter ist. Carlo Rovelli stellt fest: „Noch zu Ende des 19. Jahrhunderts glaubten eher wenige daran, dass Moleküle und Atome tatsächlich existierten.“ Ludwig Boltzmann (1844 – 1906) war jedoch von ihrer Realität überzeugt und focht für sie einen Kampf aus. Seine Angriffe auf diejenigen, die nicht an Atome glaubten, sind legendär geblieben. Als Nikolaus Kopernikus einen Sonnenuntergang betrachtete, sah er vor seinem geistigen Auge, wie sich die Erde dreht. Als Ludwig Boltzmann in ein Glas mit reglosem Wasser blickte, sah er den wilden Tanz der Atome und Moleküle. Carlo Rovelli ist seit dem Jahr 2000 Professor für Physik in Marseille.

Wärme fließt vom Warmen zum Kalten ab

In einem Wasserglas spielen sich die stürmischen Aktivitäten von Myriaden von Molekülen ab, von deutlich mehr, als Lebewesen die Erde bevölkern. Dieses Gewimmel durchmischt alles. Wenn ein Teil der Moleküle ruht, wird er vom allgemeinen Trubel mitgerissen und setzt sich seinerseits in Bewegung: Unruhe breitet sich aus. Moleküle prallen zusammen und stoßen aneinander. Deswegen erwärmt sich ein kalter im Kontakt zu einem warmen Körper: Seine Moleküle werden von denen des warmen angestoßen und in Bewegung versetzt. Auf die Art wird er warm.

Bei der thermischen Bewegung fließt Wärme vom Warmen zum Kalten ab und nicht umgekehrt: durch Vermischung, dadurch, dass natürlicherweise alles zur Unordnung strebt. Ludwig Boltzmann erkannte dies. Der Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft liegt nicht in den elementaren Gesetzen der Bewegung. Und er liegt auch nicht in der tiefen Struktur der Natur. Vielmehr führt zunehmende Unordnung allmählich zu weniger charakteristischen oder weniger besonderen Zuständen.

Zukunft und Vergangenheit verschwimmen ineinander

Sobald man den mikroskopischen Zustand der Dinge betrachtet, verschwindet der Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft. So wird beispielsweise die Zukunft der Welt nicht mehr und nicht weniger als die Vergangenheit vom gegenwärtigen Zustand bestimmt. Viele Menschen reden häufig davon, dass die Ursachen den Wirkungen vorangehen. Aber die elementare Struktur der Dinge unterscheidet nicht zwischen „Ursache“ und „Wirkung“.

Es gibt Regelmäßigkeiten, die physikalische Gesetze genannt werden, die Ereignisse zu verschiedenen Zeiten miteinander in Verbindung bringen, symmetrische Regelmäßigkeiten für Zukunft und Vergangenheit … In der Beschreibung aus mikroskopischer Sicht ist es sinnlos, Vergangenheit und Zukunft zu unterscheiden. Carlo Rovelli zieht folgendes Fazit: „Dies ist die befremdlich Schlussfolgerung die sich aus Ludwig Boltzmanns Forschungen ergibt: Der Unterschied zwischen Vergangenheit und Zukunft bezieht sich auf unsere unscharfe Sicht von der Welt.“ Quelle: „Die Ordnung der Zeit“ von Carlo Rovelli

Von Hans Klumbies