Die vierte Gewalt existiert nicht mehr

Rudolf Augstein, Gerd Bucerius und Henri Nannen – Mogule von Besatzers Gnaden. Und wie die Helden in Hollywoodwestern, die zu ihrer Zeit über die Bildschirme flimmerten, verkörperten sie das Ideal von Freiheit. Anders Indset erklärt: „Freiheit der Meinung verbunden mit informationeller Selbstbestimmung. Die vierte Gewalt.“ Doch wo findet man diese vierte Gewalt heute? Wo sind die Meinungsmacher geblieben? Vielleicht versteckt hinter „Fassaden in der Mache“ als Influencer oder Getriebene von einer technologischen Elite, um neue Medienplattformen zu schaffen. Denn Medien lieben die Erfolgreichen, Erfolgreiche lieben die Medien. Clubhouse, Podcast, IGTV … Frei nach Neil Postman sind viele Menschen dabei, sie zu Tode zu amüsieren. Noch schlimmer, sie betäuben sich allumfänglich, der sie in eine unbewusst konsumierende Gesellschaft der Gefälligkeit versetzt. Anders Indset, gebürtiger Norweger, ist Philosoph, Publizist und erfolgreicher Unternehmer.

Für Neil Postman war bereits der Fernsehapparat ein Problem

Anders Indset kritisiert: „Glück ersetzt Reflexion und untergräbt damit die ursprüngliche Rolle der Medien und des gesamten Journalismus.“ Für Neil Postman war eine mit einem Fernsehapparat harmlos verbundene Welt bereits ein Problem. Rund 35 Jahre später befindet sich viele Menschen exakt in jener paradoxen Situation. Sie können nicht mit dem Bildschirm, aber auch nicht ohne ihn leben. Für demokratische Gesellschaften sind die Medien jedoch unerlässlich.

Doch dieses Ideal stirbt. Denn es erliegt der technologischen Demokratisierung des Medienmarktes, deren Ausprägung eine Ökonomisierung ist. Disruptiert durch digitale Technologien, verliert die eng begrenzte Medienwelt des Wohnzimmers ihre Exklusivität und Alleinstellung. Anders Indset stellt fest: „Egal ob Filme, Musik oder Nachrichten, alles lässt sich überall konsumieren und produzieren – media on to go. Wir sind mit einer Paradoxie konfrontiert, die aus der befreienden Kraft des Digitalen resultiert.“

Niemand will Empfänger sein

Durch das Technologische waren die Hürden noch nie so niedrig, sich mit unterschiedlichen Positionen, Perspektiven und Meinungen auseinanderzusetzen. Die zunehmende gesellschaftliche Differenzierung führt bis zur Singularisierung. Zudem bringt sie eine nie da gewesene Steigerung der Komplexität der Gesellschaft hervor und führt zu einer Kakofonie, in welcher der gesellschaftliche Dialog dem Sendungs(un)bewusstsein jedes Einzelnen weicht. Eine fatale Informationsgesellschaft erstickt das sinnstiftende Lagerfeuer.

Das Massenmedium Radio, wo einer sein Diktat reinbrüllt und viele hören zu, hat ausgedient. Anders Indset ergänzt: „Wir hören nicht mehr zu, wir wollen partizipieren. Niemand möchte Empfänger sein, alle möchten gestalten.“ Jeder kann etwas werden, so die Botschaft. Es ist eine Medienwelt für alle und keinen entstanden. Medien für die Massen – Massenmedien –, die heute für das Publikum sind, individuell und gleichzeitig kollektiv. Vereinsamend und gleichzeitig verbindend. Viele Menschen sind Prosumenten – Konsumenten und Produzenten – in einem. Quelle: „Das infizierte Denken“ von Anders Indset

Von Hans Klumbies