Amartya Sen kennt die globalen Wurzeln der Demokratie

Die Demokratie wir oft als eine typisch westliche Idee hingestellt, die der nicht-westlichen Welt fremd ist. Die Probleme vor dem der Westen heute im Nahen Osten und überall sonst steht, schätzt man laut Amartya Sen vollkommen falsch ein. Oft wird bezweifelt, dass es den westlichen Ländern gelingen wird, dem Irak oder einem sonstigen Land die Demokratie „aufzuzwingen“. Für Amartya Sen besteht jedoch nicht der geringste Zweifel daran, dass die modernen Begriffe von Demokratie und öffentlichem Diskurs stark von europäischen und amerikanischen Analysen und Erfahrung beeinflusst wurden. Insbesondere von der geistigen Kraft der europäischen Aufklärung. Dazu gehören die Beiträge von Demokratietheoretikern wie Marquis de Condorcet, James Madison, Alexis de Tocqueville und John Stuart Mill. Amartya Sen ist Professor für Philosophie und Ökonomie an der Harvard Universität. Im Jahr 1998 erhielt er den Nobelpreis für Ökonomie.

Kulturen darf man nicht „rassisch“ zu definieren

Amartya Sen rät einen anderen, historisch ambitionierten Weg einzuschlagen und speziell das alte Griechenland zu betrachten. Der Glaube an das angeblich „westliche“ Wesen der Demokratie stützt sich oftmals darauf, dass in Griechenland und besonders in Athen schon früh Abstimmungen und Wahlen gebräuchlich waren. Der bahnbrechende Beginn im alten Griechenland war in der Tat bedeutsam. Aber vom alten Griechenland zu der These zu springen, die Demokratie sei „westlicher“ oder „europäischer“ Natur, ist verwirrend und gilt aus einigen Gründen als widerlegt.

Amartya Sen kritisiert: „Da ist zunächst die klassifikatorische Willkür, Kulturen weitgehend „rassisch“ zu definieren.“ Gleichzeitig sträubt man sich, die geistigen Beziehungen der Griechen zu anderen alten Kulturen im Süden und Ostens Griechenlands zur Kenntnis zu nehmen. Obwohl die alten Griechen selbst weit mehr daran interessiert waren, mit den alten Persern, Indern oder Ägyptern zu reden, als beispielsweise die alten Ostgoten anzusprechen.

In Athen fanden erstmals Wahlen statt

Die zweite Frage betrifft die Nachwirkung des frühen griechischen Experiments. Athen machte sicherlich den Anfang mit Wahlen. Aber viele Staaten in der Region haben diesen Weg in den folgenden Jahrhunderten weiterbestritten. Nichts deutet indes darauf hin, dass das griechische Experiment mit gewählten Regierungen in den Ländern westlich von Griechenland und Rom unmittelbare Nachfolge gefunden hätte. Beispielsweise im heutigen Frankreich oder Deutschland oder Großbritannien.

Amartya Sen betont: „Anders sieht es mit einigen damaligen Staaten in Asien – in Persien, Baktrien und Indien – aus.“ Diese etablierten in den Jahrhunderten nach der Blüte der athenischen Demokratie demokratische Elemente in ihre kommunale Regierungsform. Die Stadt Susa (auch Shushan) im Südwesten Persiens hatte beispielsweise jahrhundertelang einen gewählten Rat. Daneben existierten eine Volksversammlung und Richter. Diese wurden vom Rat vorgeschlagen und von der Versammlung gewählt. Quelle: „Die Identitätsfalle“ von Amartya Sen

Von Hans Klumbies