Das Wort „problema“ hat zwei Bedeutungen

Der moderne Mensch ist versessen darauf, Probleme zu lösen. Er ist darauf konditioniert. Dass es überhaupt Probleme gibt, ist aber keineswegs klar. Jedenfalls gibt es sie nicht wie Bäume, Garagen oder Handys. Ein Mann der nicht einparken kann, ist zunächst nichts anderes als ein Mann, der nicht einparken kann. Rebekka Reinhard weiß: „Seine fehlende Einparkkompetenz wird erst dann zum Problem, wenn er und andere es so interpretieren.“ Hinter dem altgriechischen Wort „problema“ stecken zwei Bedeutungen. Erstens ein Ding, das man aufnimmt, um sich – wie mit einem Schild – zu schützen. Zweitens eine Sache, die man einem anderen hinwirft, damit er sie aufnimmt und sich mit ihr auseinandersetzt. Die Philosophin Rebekka Reinhard ist seit 2019 stellvertretende Chefredakteurin des Magazins „Hohe Luft“.

Das Problem gleicht einem Puzzle

„Problema“ lässt gewisse Spielräume zu, verschiedene Möglichkeiten, Schwierigkeiten wahrzunehmen, mit ihnen umzugehen, sie zu verändern. In der computer-logischen Kultur ist für solche Mehrdeutigkeiten kein Platz. Für die verblödete Vernunft gleicht ein Problem einem Puzzle, das in mehr oder weniger Einzelteile zerfallen ist. Dabei gibt es nur eine einzige, mathematisch genau berechnete Möglichkeit, die Teile wieder zu einem Ganzen zusammenzufügen. Daher gibt es – so scheint es – immer eine eindeutige Lösung.

Aber auch eine „Lösung“ ist an sich noch keine Realität. Das entsprechende mittelhochdeutsche Verb „lösen“ wurde ursprünglich im Sinne von „loswerden, frei machen“ gebraucht. Fast so, wie man einen Knoten in einem Kabel loswerden kann, indem man es entwirrt. Die Rede von der „Lösung eines Problems“ ist metaphorisch zu verstehen. Aber diese Metapher ist so mächtig, dass sie Realitäten schafft. Die Realität lösungsorientierter Menschen, die, wenn sie wissen wollen, ob es draußen regnet, ihre Wetter-App checken, anstatt aus dem Fenster zu schauen.

Gleichgesinnte verstärken das Heimatfeeling

Niemand hält es auf Dauer aus, mit seinen Problemen allein gelassen zu werden. Der aufs Problemlösen konditionierte Mensch hält sich selbst schwer aus. Die direkte Konfrontation mit seinem knarzenden Gehirn ist ihm ein Gräuel. Der kritische Blick in dieses Gehirn würde zeigen, dass es außer Nullen und Einsen nicht viel enthält. Das würde ihm Angst machen. Er braucht positives Feedback, so wie ein Säugling die Mutterbrust braucht. Der sicherste Weg zum nachhaltigen Geliked-Werden besteht darin, in eine Gruppe Gleichgesinnter einzutreten und sie nicht mehr zu verlassen.

Es muss keine Facebook- oder WhatsApp-Gruppe sein. Eine analoge Blase tut es auch. Wo sich Fleischesser von Veganern, Feministinnen von Hausfrauen, Karrieristinnen von Idealistinnen, Ökonomen von Philosophen absondern, stellt sich der größte Belohnungseffekt ein. Rebekka Reinhard betont: „Das Gefühl, von Leuten umgeben zu sein, die genau die gleichen Knoten und Puzzleteile vorzuweisen haben, verstärkt das Heimatfeeling.“ Quelle: „Wach denken“ von Rebekka Reinhard

Von Hans Klumbies