Epistemische Ungerechtigkeit ist erkenntnistheoretischer Natur

Miranda Fricker befasst sich in ihrem Buch „Epistemische Ungerechtigkeit“ mit der Idee, dass es eine besondere Art von Ungerechtigkeit gibt, die besonders Erkennende und Wissende betrifft. In ihrem Werk arbeitet die Autorin zwei Formen von epistemischer Ungerechtigkeit heraus, die eindeutig erkenntnistheoretischer Natur sind. Und sie zeigt dabei, dass sie grundsätzlich in einem Unrecht bestehen, das jemandem speziell in seiner Eigenschaft als Wissendem zugefügt wird. Miranda Fricker nennt sie Zeugnisungerechtigkeit und hermeneutische Ungerechtigkeit und erklärt: „Zeugnisungerechtigkeit tritt auf, wenn eine Hörerin aufgrund von Vorurteilen den Äußerungen einer Sprecherin eine geringere Glaubwürdigkeit zubilligt. Hermeneutische Ungerechtigkeit tritt in einem früheren Stadium auf, nämlich dann, wenn eine Lücke in den kollektiven Interpretationsressourcen jemanden in seinem Bemühen, die eigenen sozialen Erfahrungen sinnvoll zu deuten, auf unfaire Weise benachteiligt.“ Miranda Fricker ist Professorin für Philosophie an der New York University, Co-Direktorin des New York Institute für Philosophy und Honorarprofessorin an der University of Sheffield.

Macht existiert auch im ruhenden Zustand

Soziale Macht ist die Fähigkeit, die man als sozialer Akteur hat, um den Verlauf der Dinge in der Gesellschaft zu beeinflussen. Zunächst einmal ist festzuhalten, dass Macht aktiv oder passiv wirken kann. Ein zweiter Punkt ist folgender: Da Macht eine Fähigkeit ist und eine Fähigkeit auch in jenen Zeiten Bestand hat, in denen sie nicht ausgeübt wird, existiert Macht auch dann, wenn sie gerade nicht in die Tat umgesetzt wird. Wenn ein handelndes Subjekt Macht ausübt, bezeichnet Miranda Fricker diese Tatsache als Handlungsmacht.

Wann immer Machtausübung auf gemeinsamen Imaginationen und Begriffen von sozialer Identität beruht, ist Identitätsmacht am Werk. Wie die soziale Macht im Allgemein lässt sich auch die Identitätsmacht passiv oder aktiv ausüben. Gender-Macht wird beispielsweise dann ausgeübt, wenn ein Mann seine Identität als Mann nutzt, um das Verhalten einer Frau zu beeinflussen. Etwa um sie dazu zu bringen, sich seinem Urteil zu beugen. Vielleicht bevormundet er sie und kommt damit auch noch durch, weil er ein Mann und sie eine Frau ist.

Das Politische hängt vom Ethischen ab

Die Beseitigung dieser Ungerechtigkeiten erfordert letztlich einen allgemeinen gesellschaftspolitischen Wandel. Denn in Fragen der erkenntnisbezogenen Ungerechtigkeit ist das Ethische politisch. Dies unterstreicht die Tatsache, dass man Zeugnisungerechtigkeit und hermeneutische Ungerechtigkeit in erster Linie als ethische Probleme erforschen muss, denn das ist es, was sie im Grunde genommen sind. Miranda Fricker erläutert: „Was unser philosophisches Verständnis dieser Phänomene betrifft, hängt das Poltische vom Ethischen ab.“

Die Untersuchung verschiedener Formen von epistemischer Ungerechtigkeit macht deutlich, macht deutlich, dass es auch so etwas wie epistemische Gerechtigkeit gibt. Miranda Frickler betont, dass ein philosophischer Ansatz, der Fragen der sozialen Identität und Macht ausblendet, sie niemals erklären kann. Außerdem muss man den philosophischen Blick dahingehend verändern, dass man bis in den negativen Raum epistemischer Ungerechtigkeit vordringt. Das ist es, was Miranda Fricker in diesem Buch versucht hat.

Epistemische Ungerechtigkeit
Macht und die Ethik des Wissens
Miranda Fricker
Verlag: C. H. Beck
Gebundene Ausgabe: 278 Seiten, Auflage: 2023
ISBN: 978-3-406-79892-4, 34,00 Euro

Von Hans Klumbies