Das Wasser gehört allen und niemandem allein

Josef H. Reichholf nimmt seine Leser in seinem neuen Buch „Flussnatur“ mit hinaus zu verschiedenen Flüssen Mitteleuropas. Er berichtet von erfolgreichen Renaturierungen und von Stauseen, die sich zu Vogelparadiesen entwickelt haben. Er nähert sich dabei der Natur der Flüsse mit ihrer Schönheit und ihren vielen besonderen Bewohnern. Eines seiner Fazits lautet: „Wir brauchen naturnahe Flüsse mehr denn je.“ Denn wenn die Flüsse wieder freier fließen können, verwandeln sie sich in wahre Naturwunder. Leben entsteht in ihnen in üppiger Fülle und die Menschen können ihnen Trink- und Brauchwasser entnehmen. Josef H. Reichholf stellt fest, dass des den Fluss, das Gewässer in seiner ökologisch-natürlichen Reinform nicht mehr gibt. Zumindest nicht in Mitteleuropa und auch nicht im größten Teil der Erde. Josef H. Reichholf lehrte an der Technischen Universität München 30 Jahre lang Gewässerökologie und Naturschutz.

Flüsse darf man nicht künstlich vom Auwald trennen

Was generell für die Fließgewässer eine höchst bedeutsame Rolle spielt, ist die Wasserqualität. Der große Reichtum an Wasservögeln, den es am unteren Inn in den 1960er und 1970er Jahren gegeben hatte, hing mit der Verschmutzung des Flusses mit Abwasser zusammen. Die starke Verbesserung der Wasserqualität ließ die Bestände vieler Wasservogelarten schrumpfen und brachte vorher seltenen Vögeln neue, günstigere Lebensbedingungen. Flüsse können nicht getrennt von ihrem Umland betrachtet werden. Sie sollten auch nicht künstlich getrennt von Auwald und Flussniederung existieren müssen.

Josef H. Reichholf möchte eines vorweg klarstellen: „Die Kleintiere in den Fließgewässern sind nicht für die Fische da.“ Die Fische nutzen, was es gibt und was sie verwerten können. Aber die Larven von Wasserinsekten, die Kleinkrebse oder Würmer im Bodenschlamm leben für sich und nicht für Fische oder für andere Nutzer wie die Wasservögel. Fließgewässer sind ihrer Natur nach sehr variabel. Diese Charakterisierung gilt ganz allgemein für die Natur und ihre Vorgänge. Stets ist sie in Veränderung begriffen.

Naturschutzgebiete sind kein Ersatz für die Adriaküste

Im Kapitel IV „Der Mensch greift ein“ weist Josef H. Reichholf darauf hin, dass es eine krasse Diskrepanz zwischen dem hohen Wert des Wassers und dem geradezu sorglosen Umgang mit ihm gibt. Ans Wasser zieht es viele Menschen. Im Sommer vor allem, werden die Ufer als Freiraum zur Erholung, zum Baden und zum Spielen benutzt. Je wilder diese noch oder wieder geworden sind, desto attraktiver. Schifffahrt auf Flüssen findet seit alten Zeiten statt. Zum Spaß allerdings erst seit Kurzem in der Ära der Freizeitgesellschaft.

In seinem Resümee macht Josef H. Reichholf klar, dass Naturschutzgebiete am Wasser nicht dazu da sind, Ersatz für die Adriaküste zu bieten. Und sie dürfen auch kein freies Betätigungsfeld für Angler sein. Denn Angeln ist eine Freizeitbeschäftigung und gewisse keine notwendige Erwerbstätigkeit. Wo Teile eines Flusses noch nicht reguliert sind, sollte man mit allen Mitteln versuchen, ihn in diesem Zustand zu erhalten. Denn jeder Wildfluss ist, auf die gleiche Streckenlänge bezogen, besser als der bestgelungene Stausee. Josef H. Reichholf fasst zusammen: „Die Ansprüche aus allen Teilen der Gesellschaft anzuerkennen und fair zu gewichten ist die Zukunftsaufgabe für unseren Umgang mit dem Wasser. Es gehört allen und niemandem allein.“

Flussnatur
Ein faszinierender Lebensraum im Wandel
Josef H. Reichholf
Verlag: Oekom
Gebundene Ausgabe: 302 Seiten, Auflage: 2021
ISBN: 978-3-96238-285-8, 24,00 Euro

Von Hans Klumbies