Alle Menschen streben nach Zuwendung, Wertschätzung und Liebe. Bei gestörten Beziehungen oder dem Verlust von Bindungen kommt es daher zu Aggressionen. Der Medizinprofessor und Psychotherapeut Joachim Bauer geht davon aus, dass der Mensch ein auf Kooperation ausgerichtetes Wesen ist. Denn die Kernmotive der Natur sind Kooperation, Spiegelung und Resonanz. Joachim Bauer arbeitet am Universitätsklinikum Freiburg in der Abteilung für Psychosomatische Medizin. 1996 erhielt er den renommierten Organon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Biologische Psychiatrie.
Der Mensch sehnt sich nach Zuwendung und Liebe
Die neuesten neurobiologischen Erkenntnisse zeigen, dass die zentrale Motivation des Menschen auf Zuwendung und gelingende mitmenschliche Beziehungen gerichtet ist. Denn die Motivationssysteme des Menschen reagieren besonders heftig, wenn Liebe im Spiel ist, egal ob es sich um elterliche, kindliche oder sexuelle Liebe handelt. Das Gehirn schüttet beim verliebt sein verstärkt Dopamin aus, das wie eine Dopingdroge wirkt.
Bei sozialen Bindungen, die auf Vertrauen und basieren und auf lange Zeit angelegt sind, kommt der Botenstoff Oxytozin zum Einsatz. Laut Joachim Bauer bilden Dopamin und Oxytozin ein kooperierendes, aufeinander abgestimmtes Team. Dopamin spielt für alles motivierte Tun eine zentrale Rolle. Wenn es aber darum geht, feste Bindungen einzugehen, muss der Botenstoff Oxytozin hinzukommen.
Denn Personen, die durch ihre Zuwendung, durch ihre Anerkennung oder Liebe die Oxytozin-Produktion eines Menschen stimuliert haben, werden zusammen mit der Erinnerung an die mit ihnen erlebten guten Gefühle in den Emotionszentren des Gehirns gespeichert. Joachim Bauer geht davon aus, dass gelingende Beziehungen das unbewusste Ziel alles menschlichen Bemühens sind, da sie mit der Ausschüttung der Glücksbotenstoffe Dopamin, Oxytozin und Opioide verbunden sind.
Joachim Bauer: „Selbst Gene sind nicht egoistisch“
Das dritte Kapitel seines Buches widmet der Autor der Bedeutung der Aggression. Denn auch sie steht im Dienst sozialer Beziehungen und dient deren Verteidigung. Sie kommt immer dann ins Spiel, wenn Bindungen bedroht sind, wenn sie fehlschlagen oder nicht existieren. Joachim Bauer ist der Ansicht, dass Charles Darwin in seiner Evolutionstheorie falsche Antworten gibt. Denn nicht der Kampf ums Dasein, sondern Kooperation, Zugewandtheit, Spiegelung und Resonanz seien das Gravitationssystem der biologischen Systeme.
Laut Joachim Bauer sind selbst die Gene nicht egoistisch, sondern interagieren mit Signalen, die sie aus der Umwelt erhalten. Außerdem verändern sie sich in Hinsicht auf ihre Aktivität fortlaufend und passen sich an die jeweilige Situation an. Im letzten Kapitel seines Buches tritt Bauer für eine Kultur der Kooperation als gesellschaftliches Projekt ein. Dabei blickt er auf die Evolution des Lebens zurück und stellt fest, dass die Kooperation die entscheidende Voraussetzung für die Entstehung des Lebens war.
Bei gelingender Kooperation entsteht Menschlichkeit
Deshalb plädiert Joachim Bauer dafür, die vielfältigen Formen des sozialen Zusammenwirkens auszubauen. Das umfasst die Erziehung der Kinder zu Menschlichkeit, ein ethisches Management im Bereich der Wirtschaft und die Bereitschaft der Menschen, sich in materieller und gesundheitlicher Not gegenseitig zu unterstützen. Das Ergebnis gelingender Kooperation heißt für ihn Menschlichkeit. Joachim Bauer behauptet: „Die beste Droge für den Menschen ist der Mensch.“
Das Buch ist zwar wie eine wissenschaftliche Arbeit mit Fußnoten versehen, wodurch man sich allerdings nicht abschrecken lassen sollte. Joachim Bauer produziert keine staubtrockene, schwer verständliche, wissenschaftliche Abhandlung, sondern schreibt in einem Stil, den jeder mit einer guten Allgemeinbildung verstehen kann. Umfangreiche Literaturhinweise machen das Buch vor allem für wissenschaftlich interessiert Leser interessant, die tiefer in die Materie der neurobiologischen Forschung einsteigen möchten.
Prinzip Menschlichkeit
Warum wir von Natur aus kooperieren
Joachim Bauer
Verlag: Hoffmann und Campe
Gebundene Ausgabe: 256 Seiten, Auflage 4: 2007
ISBN: 978-3-455-50017-2, 19,95 Euro
Von Hans Klumbies