Charles Pépin entwirft eine Philosophie der Begegnung

Charles Pépin hat sein neues Buch „Kleine Philosophie der Begegnung“ vor allem deshalb geschrieben, um zu zeigen, dass man den Zufall zu seinem Verbündeten machen kann. Er schreibt: „Er entscheidet nicht über unser Schicksal, sondern wir führen ihn vielmehr herbei.“ Man muss nur den Mut haben, sich auf Unvorhergesehenes einzulassen. Das setzt allerdings voraus, dass man sich über den Mechanismus und die Kraft der Begegnung im Klaren sein muss. Dazu befragt Charles Pépin die großen Denker des 20. Jahrhunderts. Und zwar diejenigen, die in der Nachfolge Hegels die Beziehung zum Anderen und die fundamentalen Bindungen, die sich zwischen zwei Wesen knüpfen können, untersucht haben. Sigmund Freud, Martin Buber, Emmanuel Lévinas, Jean-Paul Sartre, Simone Weil und Alain Badiou stehen bei der Skizzierung einer Philosophie der Begegnung Pate. Charles Pépin ist Schriftsteller und unterrichtet Philosophie. Seine Bücher wurden in mehr als zwanzig Sprachen übersetzt.

Begegnungen modellieren die Persönlichkeit

Ebenso verleihen Romanschriftsteller, Filmregisseure, Dramatiker, Maler, die schöne Begegnungen in Szene gesetzt haben, diesem Denken eine Gestalt. Für eine zusätzliche Erhellung zieht Charles Pépin auch solche Werke hinzu, die selbst die Frucht einer entscheidenden Begegnung gewesen sind. Sie erinnern daran, dass sogar die größten Genies auf andere Menschen angewiesen sind. Es gilt die Bedeutung von Begegnungen zu ermessen. Nur dann richtet man einen anderen Blick auf die Werke, die einem Nahrung geben.

Man betrachtet dann sogar das eigene Leben unter einem anderen Blickwinkel. Charles Pépin betont: „Begegnungen sind keine schmückende Beigabe, keine zusätzliche Alternative. Sondern sie sind wesentlich und modellieren unsere Persönlichkeit. Begegnungen stehen im Mittelpunkt des Abenteuers unseres Denkens.“ Der Begegnung wohnt die Kraft inne, einen Menschen Liebe und Freundschaft entdecken zu lassen. Sie kann ihn zum Erfolg führen und ihn dazu bringen, sich der Welt zu öffnen.

Man sollte die Ungewissheit umarmen und etwas riskieren

Jemanden zu begegnen, bedeutet, überrumpelt und aus der Fassung gebracht zu werden. Es geht etwas vor sich, das man sich nicht ausgesucht hat, das einen unerwartet trifft. Das ist der Schock der Begegnung. Zwei Wesen kommen in Kontakt, stoßen aufeinander und sehen ihre Bahnen einen anderen Lauf nehmen. Nichts ist erstaunlicher, zuweilen unangenehmer, schwieriger zu fassen als die Differenz des Anderen. Auslöser der Verwirrung ist häufig ein visueller Schock und manchmal trifft einen der andere mitten ins Herz.

Das Leben ist voller Überraschungen, Erschütterungen und Staunen. Charles Pépin weiß: „Die Unterschiedlichkeit des Anderen macht uns oft sprachlos, manchmal sogar ratlos. Doch der Ruf des Abenteuers ist lauter als unsere Ängste, wir müssen die Ungewissheit umarmen, riskieren, improvisieren.“ Niemand kann darauf hoffen, er könnte er selbst werden, ohne aus sich herauszugehen und ohne anderen zu begegnen. Immer, wenn man einen anderen Menschen entdeckt, fühlt man die Gegenwart einer pulsierenden Kraft, die nichts anderes ist als das Leben selbst.

Kleine Philosophie der Begegnung
Charles Pépin
Verlag: Hanser
Gebundene Ausgabe: 254 Seiten, Auflage: 2022
ISBN: 978-3-446-27280-4, 20,00 Euro

Von Hans Klumbies