Ein Imperium herrscht über eine große Vielfalt von Ethnien

Ein Imperium ist eine politische Ordnung mit zwei entscheidenden Eigenschaften. Yuval Noah Harari nennt die erste Eigenschaft: „Um als Imperium zu gelten, muss es über eine ausreichende Zahl von verschiedenen Völkern herrschen, von denen jedes seine eigene kulturelle Identität und sein eigenes Territorium hat.“ Die zweite Eigenschaft eines Imperiums besteht darin, dass es über flexible Grenzen und einen potentiell grenzenlosen Appetit verfügt. Imperien können sich immer mehr Völker oder Gebiete einverleiben, ohne dabei ihre Struktur oder Identität zu verlieren. Yuval Noah Harari nennt ein Beispiel: „Das heutige Großbritannien hat klar definierte Grenzen, die es nicht überschreien kann, ohne dass der Staat seine Struktur oder Identität völlig verändern würde. Aber vor einem Jahrhundert hätte fast jeder Ort auf der Erde Teil des Britischen Weltreichs werden können. Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

Ein Imperium muss nicht von einem Alleinherrscher geführt werden

Die kulturelle Vielfalt und ein flexibles Herrschaftsgebiet verleihen Imperien nicht nur einen einmaligen Charakter, sondern auch ihren zentralen Platz in der Geschichte. Es gelang ihnen, eine große Vielfalt von Ethnien und Regionen unter einen Hut zu bringen und dabei immer größere Teile der Menschheit und des Planeten zu vereinen. Ein Imperium muss allerdings nicht das Ergebnis von Eroberungszügen sein: Das Reich der Athener begann zum Beispiel als freiwilliger Zusammenschluss und das Reich der Habsburger wurde durch eine kluge Heiratspolitik geschmiedet.

Auch muss ein Imperium nicht zwingend von einem Alleinherrscher geführt werden. Yuval Noah Harari nennt einige Beispiel: „Das Britische Weltreich, das größte Imperium der Geschichte, wurde von einem halbwegs demokratisch gewählten Parlament regiert. Auch die modernen Reiche der Niederländer, Franzosen, Belgier und Vereinigten Staaten waren mehr oder weniger demokratisch, genau wie die antiken Imperien von Nowgorod, Rom, Karthago und Athen.“ Auch die Größe spielt bei einem Imperium keine Rolle, da sie auch winzig klein sein können.

Weltreiche genießen heutzutage keinen allzu guten Ruf

Auf dem Höhepunkt seiner Macht nahm das Reich von Athen nicht einmal den Raum des heutigen Griechenlands ein und hatte weniger Einwohner. Auch das Reich der Azteken war nicht einmal halb so groß wie das heutige Mexiko. Yuval Noah Harari fügt hinzu: „Doch anders als die modernen Staaten, die ihnen nachfolgten, waren beides Imperien, da sie im Laufe der Zeit Dutzende oder gar Hunderte verschiedene Staaten und Ethnien unter ihre Herrschaft brachten. Die Athener regierten über mehr als hundert einst unabhängige Stadtstaaten.“

In der Gegenwart genießen Weltreiche keinen allzu guten Ruf. Sie werden vor allem aus zwei Gründen kritisiert: Erstens funktionieren Imperien nicht, da es auf lange Sicht unmöglich ist, eine große Zahl unterworfener Völker zu beherrschen. Zweitens korrumpieren Imperien sowohl die Eroberer als auch die Eroberten. Denn jedes Volk hat ein Recht auf freie Selbstbestimmung und seinen eigenen Staat. Diese Kritik hält Yuval Noah Harari für völlig überzogen, da das Imperium während der vergangenen zweieinhalb Jahrtausende die vorherrschende Staatsform war.

Von Hans Klumbies