Yuval Noah Harari erklärt den Kult der freien Marktwirtschaft

Nicht allen Kapitalisten gefällt ein enges Bündnis von Kapital und Politik. Viele ärgern sich darüber, dass die wirtschaftlichen Positionen einer Regierung oft durch ihre politischen Interessen verzerrt werden. Dadurch tätigt sie schlechte Investitionen und behindert das Wachstum. So mancher Wirtschaftsführer klagt, dass manche Regierungen Unternehmen hart besteuert und mit den Einnahmen großzügige Arbeitslosengelder bezahlt, weil dies bei den Wähler gut ankommt. Ihrer Ansicht nach wäre es weit sinnvoller, wenn die Regierung das Geld bei den Firmen belassen hätte, damit diese für die Arbeitslosen neue Arbeitsplätze schaffen. Yuval Noah Harari fügt hinzu: „Nach Ansicht dieser Kritiker sollte sich die Politik aus der Wirtschaft heraushalten, Steuern und staatliche Kontrolle auf ein Minimum reduzieren und die Kräfte des Marktes agieren lassen.“ Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

Die wichtigste Ressource der Wirtschaft ist das Vertrauen in die Zukunft

Zudem meinen diese Kapitalisten, dass private Anleger, die nicht von politischem Kalkül belastet sind, am besten wissen, wo sie ihre Gewinne investieren müssen. Wenn der Staat sie nur frei handeln ließe, würde die Wirtschaft exponentiell wachsen und die Welt wäre frei, gerecht und glücklich. Yuval Noah Harari erklärt: „Das ist der Grundgedanke des Kults der freien Marktwirtschaft, der wichtigsten Spielart der kapitalistischen Religion. Die Anhänger dieses Kults beobachten die Regierung mit Argusaugen und geißeln militärische Abenteuer im Ausland genauso wie staatliche Sozialhilfeprogramme zu Hause.“

Das Mantra dieser Gurus der Marktwirtschaft, dass die den Politikern ständig einbläuen, lautet: „Mischt euch nicht ein.“ In dieser extremen Form ist der Glaube an der Markt für Yuval Noah Harari vermutlich genauso naiv wie der Glaube an das Christkind, da es einen Markt, in den die Politik auf die eine oder andere Weise eingreift, einfach nicht gibt. Die wichtigste Ressource in der Wirtschaft ist das Vertrauen auf die Zukunft, aber diese Kraftquelle wird ständig von Betrügern und Scharlatanen bedroht. Die Märkte selbst können den Menschen keinen Schutz vor Missbrauch gewähren.

Ein vollkommen freier Markt führt zur Bildung von Monopolen

Es ist die Aufgabe des politischen Systems Betrüger vor Gericht zu stellen und die notwendigen Institutionen dafür bereitzustellen. Yuval Noah Harari erläutert: „Wenn Regierungen ihre Aufgaben versäumen und den Markt nicht ausreichend kontrollieren, schwindet das Vertrauen, niemand vergibt mehr Kredite und die Wirtschaft bricht ein.“ Als Beispiel nennt Yuval Noah Harari das Platzen der Immobilienblase in den Vereinigten Staaten von Amerika im Jahr 2007 und die darauf folgende weltweite Finanzkrise.

In einem vollkommen freien Markt können gierige Kapitalisten Monopole errichten oder sich gegen ihre Arbeitnehmer verbünden. Die unersättlichen Bosse könnten sogar harte Arbeitsgesetze erlassen, ihre Arbeiterschaft in die Schuldknechtschaft zwingen oder ganz einfach die Sklaverei wieder einführen. Yuval Noah Harari weist darauf hin, dass im ausgehenden Mittelalter die Sklaverei im christlichen Europa so gut wie unbekannt war. In der frühen Neuzeit ging dann der Aufstieg des Kapitalismus Hand in Hand mit dem transatlantischen Sklavenhandel.

Von Hans Klumbies