Yuval Noah Harari erforscht den Sinn des Lebens

Nicht alle Forscher sind der Ansicht, dass Glück allein eine Funktion der Biochemie ist. Yuval Noah Harari erklärt: „Zwar regulieren unsere Gene und Chemikalien gemeinsam Lust und Leid, doch Glück ist mehr als nur ein angenehmes Gefühl.“ Glück besteht eben nicht darin, unterm Strich mehr glückliche als unglückliche Momente zu haben. Glück bedeutet vielmehr, das Leben als Ganzes als sinnvoll und lohnend zu erleben. Friedrich Nietzsche sagt: „Wer ein Warum zum Leben hat, erträgt fast jedes Wie.“ Ein sinnvolles Leben kann ausgesprochen befriedigend sein, und wenn es noch so hart ist, und ein sinnloses Leben kann eine schreckliche Qual sein, auch wenn es noch so angenehm ist. Yuval Noah Harari ist Professor für Geschichte an der Hebrew University of Jerusalem.

Das Leben hat scheinbar nicht den geringsten Sinn

Obwohl die Menschen aller Kulturen und Zeiten dieselbe Freude und dasselbe Leid empfunden haben, haben sie ihren Erfahrungen einen ganz unterschiedlichen Sinn gegeben. Deshalb ist die Geschichte des Glücks wahrscheinlich sehr viel turbulenter verlaufen, als die Biologen sich dies vorstellen. Soweit die Menschen das aus rein wissenschaftlicher Sicht beurteilen können, hat das Leben scheinbar nicht den geringsten Sinn. Die Menschen sind nicht mehr als das Produkt eines evolutionären Prozesses, der ohne Zweck oder Ziel agiert.

Jeder Sinn, den die Menschen ihrem Leben geben, ist damit reine Illusion. Es könnte aber sein, dass die Menschen glücklicher sind, wenn sie ihre persönlichen Illusionen mit denen ihrer Zeitgenossen in Einklang bringen. Yuval Noah Harari erläutert: „Solange meine Vorstellung mit den Vorstellungen der Menschen in meiner Umgebung harmoniert, kann ich mir einreden, dass mein Leben einen Sinn hat, und daraus mein Glück ziehen. Das ist eine niederschmetternde Schlussfolgerung. Sollte Glück tatsächlich nur durch Selbstbetrug möglich sein?

Die Gefühle entscheiden über das Gute und das Schlechte

Wenn Glück gleichbedeutend mit angenehmen Empfindungen ist, müssen die Menschen ihre Biochemie manipulieren. Wenn das menschliche Glück von einem Lebenssinn abhängt, muss man sich eine wirkungsvolle Illusion zurechtlegen. Für den liberalen Humanismus unserer Tage gehen die subjektiven Empfindungen der Menschen über alles. Yuval Noah Harari erläutert: „Demnach entscheiden allein unsere Gefühle darüber, was gut ist und was schlecht, was schön ist und was hässlich, was sein sollte und was nicht.“

Jean-Jacques Rousseau fand dafür die klassische Formulierung: „Alles, von dem mein Gefühl sagt, dass es gut ist, ist auch wirklich gut; alles, was mein Gefühl schlecht nennt, ist schlecht.“ Wer von klein auf mit diesen Weisheiten aufwächst, muss natürlich zu dem Schluss kommen, dass Glück eine subjektive Empfindung ist und dass jeder Mensch am besten weiß, ob er oder sie glücklich ist oder nicht. Doch der Liberalismus steht mit dieser Ansicht allein auf weiter Flur. Die meisten Religionen und Ideologien der Vergangenheit behaupteten, es gebe objektive Maßstäbe für das Gute, Schöne und Wahre.

Von Hans Klumbies