In seinem neuen Buch „Geister der Gegenwart“ entwirft Wolfram Eilenberger ein großes Ideenpanorama der westlichen Nachkriegszeit. Dazu begibt er sich auf die Spuren von Theodor W. Adorno, Susan Sonntag, Michel Foucault und Paul K. Feyerabend. Wolfram Eilenberger schreibt: „Dieses Buch ist das Zeugnis einer Befreiung. Sie wurde vom Autor in langen Jahren erträumt. Das Philosophieverständnis, von dem diese Befreiung geleitet ist, widerspricht den derzeit vorherrschenden Formen akademischen Philosophierens. Aber nicht der philosophischen Tradition.“ Dies erklärt auch die Auswahl der Leitgestalten dieses Buches. Alle vier hier näher vorgestellten „Geister der Gegenwart“ standen zu den seit dem Nachkrieg sich institutionell verfestigenden Formen und Schulen des Philosophierens in einem Verhältnis unterlaufender Gegnerschaft. Darüber hinaus bilden sie selbst keine Gruppe oder Schule. Auch schufen sie keine Theorie oder gar ein System.
Die vier Denker leben im Sinne der Aufklärung
Theodor W. Adorno, Susan Sonntag, Michel Foucault und Paul K. Feyerabend sind bespielhafte Verkörperungen eines Lebens im Sinne der Aufklärung. Positiv bestimmt wird Aufklärung von Immanuel Kant als „Ausgang aus selbst verschuldeter Unmündigkeit“. Das Erlangen von Geistesgegenwärtigkeit, das für das vorliegende Buch leitend war, kommt mit Immanuel Kants aufklärerischen Zielbegriff der „Mündigkeit“ praktisch zur Deckung. Was nun treibt solch ein Streben nach Geistesgegenwärtigkeit?
Wolfram Eilenberger beantwortet die Frage wie folgt: „Wie die Denkwege der hier vorgestellten Geister bezeugen, ist es neben Mut ein Befinden existenzieller Verlorenheit und Enge. Sind es Erfahrungen einer fundamentalen Unpässlichkeit. Ist es der Mut der Verzweiflung.“ In der philosophischen Tradition werden zur Bezeugung dieser Erfahrungen im Wesentlichen zwei Metaphernfelder mobilisiert. Das des Schlafens und Wachens – etwa in Immanuel Kants Erwachen aus „dogmatischen Schlummer“.
Einer selbstverschuldete Unmündigkeit kann jeder Mensch entfliehen
In der philosophischen Existenz wird diese dreifaltige Enge – biografisch, zeitgeistig, feldspezifisch – dabei als eine erfahren, bedacht und gegebenenfalls befreiend überwunden. Und zwar keineswegs nur für einen selbst, sondern angestrebt für alle anderen, potenziell mündigen Mitwesen des eigenen Zeitraums. Die konstellativen Fallstudien dieses Buches mögen diese Dynamik einer Suche nach dem Ausgang veranschaulichen. Selbstverständlich ist dieses Gewinnen nicht auf die ausgewählten Denker beschränkt.
Das Buch „Geister der Gegenwart“ zeigt, wie fast hoffnungslos verwirrt eine geistige Gegenwart sich erfahren, artikulieren und ermüden kann. Wolfram Eilenberger zieht folgendes Fazit: „Abermalige Ausgänge aus solch selbstverschuldeter Unmündigkeit täten Not. Nur Mut! Wie schon immer stehen sie – in Wahrheit – weit offen. Die Quellen, die zu ihnen führen, sprudeln jenseits des Labyrinths.“ Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen, ist also der Wahlspruch der Aufklärung.
Geister der Gegenwart
Die letzten Jahre der Philosophie und der Beginn einer neuen Aufklärung 1948 – 1984
Wolfram Eilenberger
Verlag: Klett-Cotta
Gebundene Ausgabe: 492 Seiten, Auflage: 2024
ISBN: 978-3-608-98665-5, 28,00 Euro
Von Hans Klumbies