Roboter und Algorithmen geben das Tempo der Arbeitswelt 4.0 vor

Josef Käser, Vorstandschef von Siemens, warnt Aktionäre und Mitarbeiter vor neuen Erschütterungen: „Schnelligkeit, Anpassungsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft sind mehr denn je gefordert. Unordnung ist die neue Weltordnung.“ Siemens ist überall. „Change“ heißt im Manager-Denglisch die alles beherrschende Überlebensweisheit der Wirtschaftswelt. Wolfgang Kaden blickt zurück: „Während in früheren Zeiten, bis in die Siebziger des vorigen Jahrhunderts hinein, die Unternehmen vielleicht alle zehn Jahre ein Reformprogramm durchliefen, löst heutzutage eine Umorganisation die nächste ab.“ Man nennt das: „Never stop reorganizing.“ Und kaum einer fragt, ob die unmittelbar Betroffenen, die Mitarbeiter, dieses Tempo mitgehen können oder wollen. Die Geschwindigkeit und Häufigkeit von Veränderungen wird wie ein Naturgesetz vorgegeben – vom Wettbewerb, von der Technik, von der Beraterzunft. Wolfgang Kaden gehört zu den renommiertesten Wirtschaftsjournalisten Deutschlands.

In Deutschland entsteht eine Gesellschaft der Angst

Wolfgang Kaden stellt sich die Frage, ob die Turbomaschine der modernen Unternehmenswelt nicht viele, womöglich die meisten Menschen überfordert. Der Mitarbeiter der Zukunft, so war kürzlich einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zu entnehmen, werde „sich schneller anpassen müssen an das Tempo, das Roboter und Algorithmen in der Arbeitswelt 4.0 vorgeben.“ Die solchermaßen gehetzte Gesellschaft wird noch mehr Erschöpfungs-Diagnosen produzieren, noch mehr Enttäuschung, Verängstigung und Orientierungslosigkeit.

Dies hat auch politische Folgen. Wolfgang Kaden erklärt: „Der Widerstand, der sich derzeit im Zulauf zu vermeintlichen Heilsbringern aus populistischen Parteien niederschlägt, dürfte weiter wachsen.“ Nationalismus und Regionalismus erblühen, weil die Menschen die Vielschichtigkeit und das Veränderungssystem der globalen Wirtschaft nicht mehr verstehen – und sich in eine überschaubare Welt zurücksehnen. Zu besichtigen sei eine „Gesellschaft der Angst“ wie der Soziologe Heinz Bude es formuliert.

Es gibt keine verlässlichen Lebensmodelle mehr

Die Stiftung Zukunftsfragen ermittelte, dass 55 Prozent der Deutschen angstvoll in die Zukunft blicken. Es ist die Sorge um das eigene Wohlergehen, um den sozialen Status. Aber auch die Angst um den Kollaps des ganzen Systems, angesichts einer höchst labilen Weltwährungsordnung, unaufhörlich steigender privater und staatlicher Verschuldung sowie entfesselter Finanzmärkte. Heinz Bude registriert einen „Zustand zermürbender Gereiztheit“, eine „riesige Stimmungsirritation“, „Statuspanik in der gesellschaftliche Mitte.“ Das allgegenwärtige hohe Tempo der Veränderung habe dafür gesorgt, dass es keine „verlässlichen Lebensmodelle“ mehr gibt.

Dass sich das Rad immer schneller dreht, dafür sorgt vor allem der scheinbar unaufhaltsame Vormarsch der digitalen Technik und des Silicon-Valley-Kapitalismus. Das Tempo, das die Informationstechnik vorgibt, revolutionierte das gesamte Wirtschaftsgeschehen. Zeit ist seitdem mehr als je zuvor das wichtigste Element des Wettbewerbs: Wer zuerst mit einem Produkt oder einer Dienstleistung antritt, wird großartig belohnt; wer zu spät kommt, den straft der Markt unbarmherzig ab. „Rapid prototyping“ heißt es heute: so schnell wie möglich von der Idee zur Testversion und zum Produkt. Quelle: Bilanz. Das deutsche Wirtschaftsmagazin

Von Hans Klumbies