Der Kapitalismus ist noch nicht in seine Endphase eingetreten

Wirtschaftskrisen sind für Wolfgang Hetzer wiederkehrende und prägende Ereignisse in der Geschichte der Ökonomie. Sie sind so vielfältig, das es schwerfällt, hierfür das Verhalten einzelner Menschen verantwortlich zu machen, geschweige denn eine aussagekräftige Theorie darüber zu entwickeln. Wolfgang Hetzer warnt davor, pauschal die Spekulation als Wurzel allen Übels zu bezeichnen, denn sie ist seiner Meinung nach ein wichtiges Moment allen wirtschaftlichen Handelns. Spekulation ist sogar eine notwendige Vorraussetzung dafür, dass es überhaupt zu wirtschaftlicher Entwicklung und nicht zu einer Wiederholung des bereits Bekannten kommt. Wolfgang Hetzer behauptet zudem, dass nicht nur in Kreisen der politischen Linken verzerrte Vorstellungen über das Wesen kapitalistischer Krisen herrschen. Wolfgang Hetzer, Dr. der Rechts- und Staatswissenschaft, leitete von 2002 bis 2011 die Abteilung „Intelligence: Strategic Assessment & Analysis“ im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) in Brüssel.

Die Wirtschaftspolitik der kommenden Jahrzehnte wird von China bestimmt

Wolfgang Hetzer hegt starke Zweifel daran, dass der Kapitalismus durch die aktuellen und anhaltenden Krisenentwicklungen in eine Endphase eingetreten ist. Es stellt sich für ihn nicht die Frage, ob der Kapitalismus überleben wird, sondern unter welchen Bedingungen er weiterbestehen wird. Denn revolutionäre Umwälzungen finden nicht automatisch statt. Sie beruhen auf objektiven Vorraussetzungen und sind Reaktionen auf Tendenzen des Zerfalls einer überholten Form der Gesellschaft.

Durch die Folgen der Weltwirtschafskrise, die seit 2008 die Weltwirtschaft bedroht, hat sich bei vielen Wirtschaftswissenschaftlern die Erkenntnis durchgesetzt, dass die Märkte und die Regierungen in Zukunft enger zusammenarbeiten müssen, anstatt sich gegenseitig wie bisher als Feind zu betrachten. Realistischer dagegen erscheint für Wolfgang Hetzer die Annahme, dass die Wirtschaftspolitik der kommenden Jahrzehnte von China und anderen autoritären neokapitalistischen Nationen bestimmt wird.

Interventionen der Regierungen sind für die Privatwirtschaft nicht grundsätzlich schädlich

Boom- und Pleitezyklen waren laut Wolfgang Hetzer schon immer ein Merkmal des Kapitalismus und werden es auch in Zukunft bleiben. Nach den Rettungen der Banken und der Verstaatlichung von Unernehmen in den letzten Jahren, haben inzwischen fast alle Ökonomen erkannt, dass Interventionen der Regierung für die Privatwirtschaft nicht grundsätzlich schädlich sind. Noch freiere Märkte und weniger Staat sind heute keine glaubwürdigen Antworten auf die Herausforderungen, mit denen der Kapitalismus in der Gegenwart konfrontiert ist.

Wolfgang Hetzer vertritt die These, dass bei ausbleibender Erholung der Weltwirtschaft und Evolution des Kapitalismus, sich die Verschiebung von Wohlstand und Macht von Amerika und Europa in Richtung Asien mit Sicherheit beschleunigen wird. Das westliche Finanzsystem bliebe in einem solchen Fall anfällig für Krisen und instabil. Optimisten gehen allerdings immer noch davon aus, dass im System des Kapitalismus eine stetige Entwicklung der Wirtschaft, politischer Konsens und systemische Evolution wahrscheinlicher seinen als Kollaps, Anarchie und Auflösung.

Von Hans Klumbies