Das Geschehen an den Finanmärkten bestimmt den Alltag

Wolfgang Hetzer vertritt die These, dass der Lauf der Dinge heutzutage maßgeblich durch das Geschehen an den Finanzmärkten bestimmt wird. Umso denkwürdiger ist seiner Meinung nach, dass die Logik der Ereignisse in diesem Bereich zum Teil höchst umstritten ist. Dies gipfelt in der Frage, ob sich auf den Schauplätzen der internationalen Finanzwirtschaft ein effizientes Zusammenspiel vernünftiger Akteure oder ein Spektakel reiner Unvernunft vollzieht. Wolfgang Hetzer fügt hinzu: „Es gilt jedenfalls nicht als ausgemacht, ob der beschworene kapitalistische Geist verlässlich und rational oder schlicht verrückt operiert.“ Selbst die Wirtschaftswissenschaft hilft auch nicht immer weiter, da sie völlig verschiedene und widersprüchliche Interpretationen bereithält, um die Stürme der Ereignisse im gegenwärtigen Finanzgeschäft zu erklären. Wolfgang Hetzer, Dr. der Rechts- und Staatswissenschaft, leitete von 2002 bis 2011 die Abteilung „Intelligence: Strategic Assessment & Analysis“ im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) in Brüssel.

Die ökonomische Wirklichkeit ist von ziemlicher Ungewissheit geprägt

Wolfgang Hetzer behauptet, dass niemand zuverlässig zu wissen scheint, durch welche Kräfte, mit welcher Vernunft oder Unvernunft die Dynamiken und Anomalien des finanzökonomischen Geschehens motiviert werden. Er ergänzt: „In einem Konzert von Erklärungsversuchen offenbart sich letztlich nur Ratlosigkeit.“ Es herrscht sogar eine ziemliche Ungewissheit darüber, was eine ökonomische Wirklichkeit überhaupt ist. Was offensichtlich fehlt, ist ein alternatives Wissen vom kapitalistischen Prozess.

Joseph Vogl, Professor für Geschichte und Theorie künstlicher Welten an der Fakultät Medien der Bauhaus-Universität Weimar, sieht im Geld nicht mehr das neutrale oder verschleierte Tauschmittel im ökonomischen Verkehr. Seiner Meinung nach präsentiert es sich vielmehr als Medium mit eigener Wirksamkeit und Kraft. Laut Joseph Vogl folgen die finanzökonomischen Prozesse nicht mehr den Regeln eines sich selbst korrigierenden und optimierenden Systems. Joseph Vogl, erklärt: „Man muss davon ausgehen, dass die Finanzmärkte der Liquiditätsbeschaffung dienen, die nur über die Spekulation funktioniert und diese wiederum spekulär verfährt.“

Die Risiken auf den Finanzmärkten entziehen sich der rationalen Kalkulation

Es gehört für Joseph Vogl zur Eigenart der politischen Ökonomie, dass die Folgen ihrer riskanten Entscheidungsprozesse auch diejenigen zu spüren bekommen, die nicht an den Entscheidungen teilhaben. Risiken unterscheiden sich von Gefahren seiner Meinung nach dadurch, dass letztere nicht dem eigenen Tun oder Unterlassen zuzurechnen sind. Deshalb haben sich ökonomische Systemrisiken und kalkulierbare Schadensfälle für die Mehrzahl derjenigen, die in aller Abhängigkeit nicht zu entscheiden haben, in elementare Gefahren verwandelt.

Die Risiken auf den Finanzmärkten überschreiten die Möglichkeiten einer rationalen Kalkulation. Inzwischen hat sich wenigstens herumgesprochen, dass das Konkurrenzverhalten im Finanzsektor nicht automatisch dem Gemeinwohl dient. Für Wolfgang Hetzer ist interessantes Geschäftsmodell noch lange kein hilfreiches soziales Programm. Nach der Etablierung moderner Vorsorgegesellschaften durch die Verwandlung von Gefahren in Risiken und die Bändigung des Zufalls ist für Joseph Vogl das Zufällige, die Gefahr, ein ungebändigter Sturm der Ereignisse auf den Finanzmärkten in die Mitte dieser Gesellschaften zurückgekehrt.

Von Hans Klumbies