Wilhelm Schmid philosophiert über den Sinn der Kindererziehung

Wilhelm Schmid stellt in seinem Buch „Dem Leben Sinn geben“ die Frage, warum und wozu Eltern ihre Kinder erziehen müssen. Seiner Meinung nach sind mehrere Antworten möglich. Erstens aus altruistischen Gründen, dem Anderen zugewandt, der erzogen werden soll, um ein sinnvolles, schönes Leben führen zu können, in dem er sich so entfalten kann, dass er Freude daran hat. Zweitens aus egoistischen Gründen, auf das eigene Ich bezogen, das zur Entwicklung des heranwachsenden Lebens beiträgt und daran Gefallen findet, insgeheim aber auch daran Interesse hat, sich die Zumutungen zu ersparen, die ein unförmiges Wachstum mit sich bringen könnte. Wilhelm Schmid fügt hinzu: „So oder so ist eine anfängliche Bevormundung kaum zu vermeiden, und doch kann das Ziel der Erziehung nur sein, dass der Heranwachsende davon frei wird und mit seiner Freiheit auch etwas anfangen kann.“ Wilhelm Schmid lebt als freier Autor in Berlin und lehrt Philosophie als außerplanmäßiger Professor an der Universität Erfurt.

Erziehung ist ein Teil der eigenen Lebenskunst

Gelungene Erziehung gebiert ein Leben, das nach der eigenen Urteilskraft geführt werden kann und ihm selbst Sinn geben kann. Sie erleichtert ebenso das Erlernen des Umgangs mit sich selbst, um gut mit sich zurechtzukommen. Auch der Umgang mit Anderen in der sozialen und ökologischen Welt sollte bei der Erziehung nicht zu kurz kommen, um ein umgänglicher Mensch und Weltbürger zu werden. Immer ist Erziehung für Wilhelm Schmid auch eine Arbeit an den Erinnerungen der Zukunft.

Wilhelm Schmid erklärt, warum dies so ist: „Woran die Erwachsenen sich künftig im Rückblick auf ihre Kindheit erinnern werden, soll eine nie versiegende Quelle der Kraft und Inspiration für sie sein, ein Kompass für ihr Leben.“ Sinnvoll wäre es seiner Meinung nach daher, die Erziehung als Teil der eigenen Lebenskunst zu betrachten, sie gerne zu tun und nicht als lästiges Beiwerk abzutun. Die Voraussetzung für eine gelingende Erziehung ist Liebe in angemessener Form, zumindest in der Variante des Mögens.

Die Eltern verkörpern für ihre Kinder die Vielfalt und Polarität des Lebens

Erziehung braucht laut Wilhelm Schmid Beziehung und keine Gleichgültigkeit. Fehlt diese Verbundenheit, stoßen erzieherische Forderungen und gelegentliche Zumutungen von vornherein auf Ablehnung, was wiederum die Erzieher zum Einsatz unangemessener Mittel verleitet. Wilhelm Schmid erklärt: „Da Beziehung die Basis ist, ist Erziehung in erster Linie eine Aufgabe der Eltern und geschieht primär in der Familie.“ Wenn die Eltern klug sind, sind sie damit einverstanden, dass sie nicht allein erziehen, sondern auch Gleichaltrige, Medien, Betreuer und Lehrer maßgeblich an der Erziehung beteiligt sind.

Die unterschiedliche Stile und Ziele der Erziehung sind nicht wirklich in einen harmonischen Gleichklang zu bringen. Auch der Einzelne selbst kann nicht völlig stringent erziehen. Das muss laut Wilhelm Schmid allerdings kein Problem sein, denn auch für die Erziehung ist es seiner Meinung nach von Vorteil, wenn sie atmen kann, etwa zwischen nachsichtiger Milde und weniger nachsichtiger Strenge, zwischen passivem Gehenlassen und aktivem Eingreifen. Vor allem die Eltern verkörpern in ihrer Unterschiedlichkeit und Gegensätzlichkeit für ihre Kinder die Vielfalt und Polarität des Lebens.

Von Hans Klumbies