Wilhelm Berger beschreibt die Philosophie als große Erzählung

Die Philosophie ist schon seit ihren Anfängen eine große Erzählung. Sie will ja, wie es in der „Politik“ des Aristoteles beschrieben ist, das Einzelne auf grundsätzliche Weise untersuchen, und die grundsätzliche Perspektive richtet sich seit damals auf das Große und Ganze, vor dessen Hintergrund das Einzelne erklärt werden kann. Wilhelm Berger fügt hinzu: „Gerade aber dadurch, dass sie in strengem Sinne nicht erzählen, unterscheiden sich die ersten griechischen Denker von den Mythenerzählern. Die mythische Verkündigung ist die Erzählung eines wirklichen Geschehens, die sich oft in der Komplexität der Verhältnisse wirklicher Personen verliert.“ Die Geschichte der Philosophie ist unter anderem auch eine Abfolge von Versuchen der Letztbegründung. Schon Aristoteles wusste, dass jede Wissenschaft zwar auf Beweisen beruhen muss, aber dass das Wissen der unvermittelten Grundsätze nicht beweisbar ist. Professor Wilhelm Berger lehrt am Institut für Technik- und Wissenschaftsforschung an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Die Weltgeschichte ist gleichzeitig die Geschichte des Weltgeistes

Für Georg Wilhelm Friedrich Hegel ist die Erfahrung der Moderne diejenige der Freiheit. Die verwirklicht sich als Weltgeschichte, über die der berühmte deutsche Philosoph in seinen „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte“ den legendären Satz gesagt hat: „Die Weltgeschichte ist der Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit, – ein Fortschritt, den wir in seiner Notwendigkeit zu erkennen haben.“ In der philosophische Erzählung von Wilhelm Friedrich Hegel geht es im Kern um die praktische Vermittlung zweier Aspekte.

Darin wird ihr letztlich politischer Charakter deutlich. Wilhelm Berger erklärt: „Wenn die Weltgeschichte, die gleichzeitig die Geschichte des Weltgeistes ist, in ihrer Gesamtheit, in ihrer Totalität, tatsächlich als notwendige erzählt werden kann, dann kann es auch gegenwärtig gelingen, die Einheit der Individualität und des Allgemeinen zu konstruieren, schließlich das jeweils einzelne Handeln und Denken als Verwirklichung des Allgemeinen in die Pflicht zu nehmen.“ Für Jürgen Habermas mündet das Modell von Georg Wilhelm Friedrich Hegel in eine Apologie des Staates.

In der bürgerlichen Gesellschaft kommt es zur Klassenbildung

Karl Marx und Friedrich Engels haben diese Denkfigur schließlich in ein politisches Modell verwandelt. Wilhelm Berger erläutert: „Die Weltgeschichte ist der notwendige Prozess ihrer Totalisierung, die in der bürgerlichen Gesellschaft zum Höhepunkt gelangt.“ Die in ihr vollendete allseitige Abhängigkeit, diese naturwüchsige Form des weltgeschichtlichen Zusammenwirkens der Individuen ist die Voraussetzung dafür, dass die Menschen von den verschiedenen nationalen und lokalen Schranken befreit, mit der Produktion der ganzen Welt in Beziehung gesetzt werden.

Dadurch werden sie den Stand gesetzt, sich die Genussfähigkeit für diese allseitige Produktion der ganzen Erde zu erwerben. Diese Möglichkeit wird sich laut Karl Marx und Friedrich Engels mit Notwendigkeit verwirklichen, weil es in der bürgerlichen Gesellschaft zur Bildung einer Klasse kommt, einer Klasse mit radikalen Ketten eines Standes, der die Auflösung aller Stände ist, einer Sphäre, die einen universellen Charakter durch ihre allumfassenden Leiden besitzt. Diese Sphäre kann sich nicht emanzipieren, ohne sich von allen übrigen Sphären der Gesellschaft zu befreien.

Von Hans Klumbies