Das Verhältnis von Recht und Moral ist die Grundfrage der Rechtsphilosophie. Alexander Somek erläutert: „Sie ist es deswegen, weil bei ihrer Beantwortung auf dem Spiel steht, und ob, bejahendenfalls, weshalb das Recht einen signifikanten Beitrag zu unserem vernünftigen Verhalten leistet. Wären wir vernünftige Wesen, auch wenn es das Recht nicht gäbe und wir bloß moralisch wären? Die Moral ist der Inbegriff der Gründe, die besagen, was Menschen tun oder nicht tun sollen. Oftmals wird zwischen der individuellen Klugheit oder Rationalität einerseits und der Moral andererseits unterschieden, zumal die Moral im Unterschied zur klugen oder rationalen Verfolgung des Eigeninteresses Menschen kategorische Gründe gibt, andere zu respektieren und deren Interessen zu achten. Alexander Somek ist seit 2015 Professor für Rechtsphilosophie und juristische Methodenlehre an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.
Die Rechtsrealisten laden den Rechtsbegriff nicht moralisch auf
Allerdings ist es sinnvoll, auch die auf das individuelle Wohlergehen bezogenen Gründe der Moral zuzuschlagen. Alexander Somek erklärt: „Dies nicht nur deswegen, weil die im engeren Sinn moralischen Gründe den Anwendungsbereich der Klugheit einhegen und begrenzen, sondern weil es auch in einem moralischen Sinne gut ist, die eigenen Interessen zu verfolgen.“ Indem die Interessen anderer Menschen für einen selbst von Wert sind, darf man seine eigenen Belange ebenso betrachten.
Die Frage der Moral ist, welches Verhalten gut und richtig ist. Alexander Somek weiß: „Nirgendwo findet man das Verhältnis von Recht und Moral so nonchalant behandelt wie bei den amerikanischen Rechtsrealisten – und bei diesen wohl am deutlichsten bei Felix Cohen.“ Die Realisten verfahren deswegen so entspannt und klar, weil sie den Rechtsbegriff nicht moralisch aufladen. Das Recht manifestiert sich ihres Erachtens im Verhaltensmuster von entscheidenden und Zwang verhängenden Instanzen.
Das Recht ist für die Moral kein ernstzunehmender Gegner
Dieses Muster ist begleitet vom Gebrauch von speziellen Begriffen im Kontext der Rechtfertigung von Rechtsfolgen. Alexander Somek stellt fest: „Ob man als ein zur Entscheidung berufenes Organ zur Reproduktion eines solchen Verhaltensmusters beitragen oder umgekehrt versuchen soll, dieses zu ändern, ist eine moralische Frage.“ Diese Perspektive auf das Verhältnis von Recht und Moral ist entwaffnend simpel. Insbesondere erblickt sie in der juristischen Analyse und in der rhetorisch gekonnten Präsentation von Rechtsstandpunkten bloße Mittel, um Ziele zu erreichen, die einem gut dünken.
Die realistische Haltung gegenüber dem Recht und dem Verfahrenswesen des rechtlichen Wissens ist durchaus instrumentalistisch. Alexander Somek fügt hinzu: „Die Fähigkeit, Rechtsansprüche zu erheben oder zu bestreiten, wird als eine Fertigkeit betrachtet, die auf bestimmten kulturellen Konventionen beruht.“ Darüber, ob man sie zum Guten oder zum Schlechten verwendet, entscheidet das eigene moralische Urteil. Die Pointe des realistischen Ansatzes besteht darin, dass unter normativen Vorzeichen das Recht für die Moral kein ernstzunehmender Gegner ist. Quelle: „Moral als Bosheit“ von Alexander Somek
Von Hans Klumbies