Überempfindlichkeit führt zu zerstörerischen Effekten

Menschen mit einer Überempfindlichkeit gegen potentielle Kränkung und Zurückweisung (RS) haben große Angst vor Ablehnung in engen Beziehungen. Sie rechnen damit, verlassen zu werden, und sie provozieren oftmals durch ihr eigenes Verhalten die Zurückweisung, vor der sie sich fürchten. Walter Mischel erklärt: „Die zerstörerischen Effekte dieser großen Empfindlichkeit können wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung wirken, wenn sie unkontrolliert bleiben.“ Die Gedanken hochempfindlicher Menschen drehen sich oft zwanghaft um die Frage, ob sie wirklich gemocht oder geliebt werden, und ihre Grübeleien lösen in dem Maße, wie sich ihre Verlassensängste verstärken, eine weitere Kaskade heißer Wut- und Grollgefühle aus. Auf ihren eigenen Stress und die verärgerten und unangemessenen Reaktionen ihrer Partner reagieren sie ihrerseits mit noch größerem Kontrollzwang – ganz offen oder mit passiver Aggression. Walter Mischel gehört zu den wichtigsten und einflussreichsten Psychologen der Gegenwart.

Wutausbrüche machen krank

Sie geben dem Partner die Schuld an ihrem Verhalten, und sie sehen sich durch die Zurückweisungen, die sie sich zunächst ausmalen und dann durch ihre Wutanfälle mit provozieren, in ihren Ängsten vor dem Verlassenwerden bestätigt. Langfristig erleben stark zurückweisungsempfindliche Menschen mehr Ablehnungen, was im Lauf der Zeit ihr Selbstwertgefühl und ihre Selbstachtung schwächt und so das Risiko einer Depression erhöht. Eine hohe Empfindlichkeit gegenüber Zurückweisungen kann auch zu körperlichen Folgeschäden führen.

Jedes Mal, wenn jemand einen Wutausbruch hat, steigt sein Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Asthma, rheumatische Arthritis, verschiedene Krebsarten oder Depression. Das Immunsystem produziert zum Beispiel bei Stress Substanzen, die Entzündungen begünstigen. Menschen mit hoher RS entwickeln auch eher Symptome der Borderline-Persönlichkeitsstörung. Walter Mischel erläutert: „Borderliner neigen dazu, kleine Unstimmigkeiten aufzubauschen und sie als persönliche Angriffe zu erleben, auf die sie mit destruktiven Verhaltensweisen reagieren.“

„Wenn-dann-Pläne“ besänftigen die Feindseligkeit

Wenn Menschen mit hoher RS Gefühle der Wut und Feindseligkeit erleben, wie es häufig geschieht, hilft es ihnen, wenn sie es schaffen, sich selbst abzukühlen und zu bremsen, indem sie tief einatmen, ihre Gedanken umlenken und an ihre langfristigen Ziele denken. Sie können diese Strategien spontan, statt unter großer Anstrengung des Willens umsetzen, wenn sie „Wenn-dann-Pläne“ aufstellen und einüben, die ihre heißen äußeren oder inneren Auslösereize mit ihren Strategien der Selbstkontrolle verknüpfen.

Wenn die Bemühungen um Selbstkontrolle scheitern, haben Menschen einen heimlichen Verbündeten. Er hilft einem mit der Zeit dabei, sich besser zu fühlen, oder zumindest nicht allzu schlecht, ganz gleich wie sehr man etwas vergeigt oder wie unsanft einen das Leben behandelt. Die Evolution hat den Menschen mit automatischen Schutzmechanismen versehen, die helfen, wenn die Bewältigungsstrategien nicht funktionieren oder wenn unvernünftiges Verhalten und emotionale Labilität einen in Schwierigkeiten bringen. Quelle: „Der Marshmallow-Test“ von Walter Mischel

Von Hans Klumbies