In der Republik Venedig herrscht die Freiheit

Der Dogenpalast in Venedig ist ein politisches Manifest in Stein, das sich an die eigenen Bürger und an die ganze Welt wendet. Die Botschaft für die Venezianer lautet: Ihr lebt in der besten aller politischen Welten! Für alle anderen blieben nur Neid und Nachahmung übrig. Jedes Bauelement des Palastes hat für Volker Reinhardt seine eigene Aussage. Das stärkste Bollwerk aber ist die Freiheit, die in der Republik herrscht. Der Regierungssitz des Staatsoberhaupts braucht daher keine Mauern gegen außen und erst recht keine Schutzwälle nach innen. Denn hier herrschen Offenheit und Transparenz. Die untere Hälfte der Südfassade besteht aus zwei Loggien, die sich harmonisch übereinander schichten. Volker Reinhardt ist Professor für Geschichte der Neuzeit an der Universität Fribourg. Er gehört international zu den führenden Italien-Historikern.

Der Punkbalkon verbindet den Palast mit der Außenwelt

Die Loggien sind eine architektonische Einladung. Jeder Bürger ist hier mit seinen Anliegen willkommen, hier findet er Gehör. Denn in diesen lichten Gemächern gibt es keine düsteren Geheimnisse, keine Intrigen und Verschwörungen. Wer hier regiert, hat nichts zu verbergen. Volker Gerhardt erklärt: „Das wichtigste Gremium, der Große Rat, tagt im Stockwerk über dem steinernen Spitzengewebe der zweiten Loggia.“ Wie es sich für ernste Staatsgeschäfte gehört, finden die Beratungen in einem geschlossenen Raum statt.

Doch hat die Wand, die diesen zum Meer hin abschließt, nichts von einer Festungsmauer. Ihre riesigen Fenster nehmen die Motive der Loggien und deren heiter gelösten Rhythmus auf. Das weiß-rot-grüne Rautenmuster der Fassade tilgt vollends jegliche Schwere aus dem Baukörper. Der etwas tiefer liegende Prunkbalkon in der Mitte der Fassade verbindet den Palast mit der Außenwelt. Er verkündet, dass die Macht, die hier residiert, auf Kommunikation und damit auf Konsens beruht.

Freiheit setzt Wehrhaftigkeit voraus

Die Meinung der Bürger dringt durch die Arkaden des Palastes in dessen Inneres. Sie wird dort ernst genommen und gelangt in Gestalt weiser Beschlüsse wieder nach außen, wo man diese annimmt und beherzigt. Genauso muss der Kreislauf der politischen Entscheidungsfindung sein: volksnah, staatsklug und gerecht. Dem stimmt selbst der Himmel zu. Hinter den Zinnen und dem Dach des Regierungspalastes erheben sich die Türme und Kreuze der Markus-Basilika, der Hauskapelle der Dogen.

Wer den Blick weiter schweifen lässt, sieht neben den strahlenden Zentren der Republik allerdings auch deren düsteres Gegenstück. Nämlich die geschlossene Brücke, die in die Staatsgefängnisse hinüberführt und nach der Gemütsverfassung der dort verwahrten Staatsverbrecher „Seufzerbrücke“ genannt wird. Doch ein Widerspruch zur republikanischen Ideologie sind diese beklemmenden Verliese für Volker Reinhardt nicht. Denn Freiheit setzt Wachsamkeit und Wehrhaftigkeit gegen innere und äußere Feinde voraus, so die Botschaft. Gesundes Misstrauen ist für den Erhalt der Freiheit notwendig. Quelle: „Die Macht der Schönheit“ von Volker Reinhardt

Von Hans Klumbies