In seinem neuen Buch „Humanität“ entwickelt der Philosoph Volker Gerhardt ein radikal neues Verständnis der Beziehung von Natur und Kultur. Auch dieses Werk lässt sich als Versuch verstehen, der Antwort auf die Frage nach der Natur des Menschen näherzukommen. Der Mensch ist ein Naturwesen, das sich bis heute nicht aus den unbarmherzigen Gegensätzen der Natur befreit hat. Volker Gerhard schreibt: „Er bleibt ihnen nicht nur ausgesetzt, sondern auch in ihnen befangen, obgleich er sich im Laufe der Jahrtausende mit der Kultur selbst einen Raum eröffnet hat, der ihn vor einem Teil der Widrigkeiten bewahren und sich auch vor sich selber schützen kann.“ Gleichwohl hat die Kultur mit der Sensibilität für den Schmerz und für feinste Unterschiede auch das Potenzial verstärkt, grausam und gefühllos zu sein. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.
Der auf Humanität setzende Mensch gründet auf Wahrhaftigkeit
Selbst innerhalb der Philosophie sind stereotype Urteile über den Menschen in Umlauf, die der Korrektur bedürfen. Dazu Anregungen zu geben, ist das vorrangige Ziel des vorliegenden Buches „Humanität“. So parteilich die Urteile des Menschen über sich selbst auch immer sein mögen: Er kommt nicht daran vorbei, über sich selbst zu sprechen, weil er nun einmal nicht unabhängig davon zu begreifen ist, wie er sich selbst versteht. Der Mensch verkennt bis heute die implizite Gesellschaftlichkeit seiner Vernunft und lässt es zu, dass Rationalität und Sozialität wie Gegensätze behandelt werden.
Der auf Humanität setzende Mensch ist aus seiner Gesinnung heraus auf Wahrhaftigkeit gegründet. Ihm geht es nicht darum, einen guten und großzügigen Eindruck zu machen, sondern um einen überzeugenden Ausdruck seiner selbst, durch den er sich als mit anderen ursprünglich verbunden zeigt. Die philosophische Reflexion über den Manchen, die niemals bloß auf das Individuum, sondern zugleich auf die es tragende Gattung und die umgebende Kultur bezogen ist, kommt ohne die innere und äußere Anteilnahme am Einzelnen nicht aus.
Die Humanität bleibt das anzustrebenden Ideal
Um von vornherein kenntlich zu machen, dass die Natur ins Leben des Menschen hineinreicht und damit nicht nur als Grund seiner Geschichte, sondern auch als Basis seiner Gesellschaft anzusehen ist, spricht Volker Gerhardt von der menschlichen Kultur als einer Form der Natur. Damit soll deutlich werden, dass die Natur im Menschen und in seinem Umfeld den Charakter der Kultur annimmt. Ein Vorzug dieser Betrachtungsweise ist, dass sie mögliche andere Lebensformen nicht abwertet.
Der begriffliche Kern des Humanismus ist, dass sich der Mensch in ihm als das begreift, was er in seiner besten Verfassung sein kann. Solange er es im Umgang mit sich und seinesgleichen passend findet, sich so zu bezeichnen, dass er als Mensch mit seinesgleichen, trotz großer Unterschiede, menschlich umgeht, bleibt die Humanität das anzustrebende Ideal. Die Humanität ist das Schicksal, das aus der Selbstbestimmung des Menschen folgt und ihn zur Verantwortung für das seiner Wirksamkeit zugängliche Ganze verpflichtet.
Humanität
Über den Geist der Menschheit
Volker Gerhardt
Verlag: C. H. Beck
Gebundene Ausgabe: 320 Seiten, Auflage: 2019
ISBN: 978-3-406-72503-6, 32,00 Euro
Von Hans Klumbies