Friedrich Nietzsche möchte den Menschen zu Größe verhelfen

Rückblickend war es für Volker Gerhardt höchst angemessen, eine geistesgeschichtliche Epoche im Anschluss an die Renaissance unter den Titel des „Humanismus“ zu stellen. Einer seiner wirkmächtigsten Anwälte war Erasmus von Rotterdam, der bis heute das Schicksal erleidet, in seiner Bedeutung als Theoretiker der Politik, der Freiheit, der Bildung und der Kultur nicht angemessen geschätzt zu werden. Selbst Friedrich Nietzsche ist mit seinen großen Formeln der „Umwertung der Werte“, des „Willens zur Macht“ und mit seiner Programmatik des „freien Geistes“, der sich als souveränes und zugleich produktives Individuum begreift und sich selbst zu überwinden hat, der Idee des Humanismus näher als manche andere Denker des 19. Jahrhunderts. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

Friedrich Nietzsche lehrt die ewige Wiederkehr des Gleichen

Friedrich Nietzsche kritisiert nicht etwa den Menschen überhaupt. Ihm möchte er ja überhaupt erst zu seiner „Größe“ verhelfen. Was er vorwirft, ist die zur Norm erhobene „Gleichheit“ der Menschen, von der er befürchtet, dass die dem Einzelnen den Weg zur individuellen Größe verstellt. Auch seine Abwehr des „Menschenrechts“ erklärt sich aus dieser Furcht, die laut Volker Gerhardt freilich grundlos ist, weil die Freiheit des Individuums überhaupt erst die gestaltenden Kräfte des Einzelnen freisetzt.

Dabei ist Gleichheit das Maß, welches ermöglicht, den Rang menschlicher Größe zu ermessen. Friedrich Nietzsche verkennt die Pointe der republikanischen Gesinnung Ciceros und verfehlt damit ein Grundanliegen des Humanismus, dem er in seiner Konzeption menschlicher Größe gleichwohl verpflichtet bleibt. Seine rätselhafte Lehre von der „ewigen Wiederkehr des Gleichen“, mit der sowohl die Existenz des Einzelnen wie auch die der Menschheit zu ewig wiederkehrenden Bruchteilen der in sich kreisenden Ewigkeit werden, soll als Auszeichnung eines jeden Augenblicks des menschlichen Daseins verstanden werden.

Friedrich Nietzsche sieht für den Menschen keine Zukunft

Im direkten Widerspruch zur Humanität scheint hingegen die fragwürdige Rede vom „Übermenschen“ zu stehen. Doch die wenigen Andeutungen, die sich dazu in Friedrich Nietzsches Texten finden, lassen bestenfalls die Absicht einer Kränkung erkennen: Seinen zukunftsgewissen Zeitgenossen will er bedeuten, dass ihre Zeit ein Ende hat. Auf den Menschen kann ein ihn evolutionär überbietendes Wesen folgen, von dem sich nur sagen lässt, dass es den Menschen in den Schatten stellen und ihm jede eigene Zukunft nehmen kann.

Freilich: Wissen im strengen Sinn kann der Mensch davon nichts. Und wenn die Rede vom Übermenschen mehr sein sollte als ein auf die Gattung gerichtetes „memento mori“, dann ist mit dem „Übermenschen“ kein „Unmensch“, sondern wohl eher ein „höherer Mensch“ gemeint. Dem könnte vieles von dem fehlen, was Friedrich Nietzsche in seinen Schriften an seine allzu zeitgemäßen Mitmenschen kritisiert. Und da in diese Kritik vieles von dem eingeht, was er aus der Sicht der Antike an seinen Zeitgenossen moniert, könnte hier ein klassisches Erbe und somit eine humanistische Intention nachwirken. Quelle: „Humanität“ von Volker Gerhardt

Von Hans Klumbies