Friedrich Nietzsche glaubte tatsächlich, das Schwergewicht der Verantwortung zu ahnen, das nach dem von ihm postulierten „Tod Gottes“ auf allen Menschen laste. „Verantwortlichkeit“ nennt es das „Privilegium“ des „souveränen Individuums“. Friedrich Nietzsche braucht Charles Darwin nicht, um über den Menschen hinauszudenken. Volker Gerhardt ergänzt: „Unstrittig sollte auch sein, dass dem Menschen nicht verboten werden kann, in geschichtlicher Perspektive über sich hinauszudenken.“ Dennoch hat sie die Rede vom „Übermenschen“, ebenso wie die vom „Willen zur Macht“, als leichtfertig erwiesen. Sie ist schon bald zur Parole der politischen Inhumanität geworden. Diese hatte nur eine Neuauflage aller Herrschaftsmodelle zu Ziel – mit effektivierter Manipulation und unter Verhöhnung des Menschenrechts. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.
Die Technik könnte einen „neuen Menschen“ hervorbringen
Volker Gerhard weiß: „Inzwischen aber wird der Traum vom neuen Menschen nicht mehr primär ethisch oder politisch verstanden, sondern auf die Innovationen der Technik gegründet.“ Der sogenannten „Transhumanismus“ hält es für möglich, dass der Mensch mit seinen digitalen Techniken derart über sich hinauszuwachsen vermag, dass nur ein „neuer Mensch“ die Folge sein könne. Auch hier werden Anleihen an Friedrich Nitzsches Übermensch gemacht, die jedoch den philosophischen Anspruch der „Selbstüberwindung“ des „freien Geistes“ vollkommen verfehlen.
Was dann aber in der Sache zum Vorschlag gebracht wird, sind nur Varianten der in Medizin und Anthropologie verbreiteten Vorstellungen von einer sich ständig verbessernden „Prothetik“ des Menschen. Tatsächlich ist der Mensch mit dem Vorschreiten der Technik in der Lage, sich eine immer größere Zahl von Hilfsmitteln zur Lebensverlängerung und zur Leistungssteigerung zuzulegen. Angefangen bei der Brille, dem Hörrohr und dem Zahnersatz kann er Schwächen kompensieren. Zudem kann er verlorene Extremitäten substituieren, Herzschrittmacher implantieren oder lädierte Gehirnareale reaktivieren.
Die Kommunikation hat sich abnorm verändert
Und am Traum von der unbegrenzten Lebensverlängerung wird, wenn man den Berichten glauben darf, im Silicon Valley fieberhaft gearbeitet. Im Übrigen wachsen, wie in den Jahrtausenden und Jahrhunderten zuvor, die Dimensionen seiner sich im Inneren intensivierenden wie in ihrer äußeren Reichweite expandierenden Kultur. Dazu gehören die exponentiell anwachsenden Kapazitäten der digitalen Datenverarbeitung, die eine abnorme Veränderung des menschlichen Kommunikationsverhaltens nach sich zieht.
Mit Blick auf diese Veränderungen erscheint Volker Gerhardt nichts mehr so, wie es noch vor zwanzig Jahren war: „Die Innovationen halten sich nicht mehr an die noch vor kurzem gültige Halbwertzeit im Zehnjahrestakt, sondern folgen in einem immer schneller werdenden Rhythmus.“ Und das soll keine Auswirkungen auf das menschliche Selbstverständnis haben? Wer das heute behaupten wollte, wäre mit Blindheit geschlagen. Und dennoch ist die Frage, ob im Zuge der Anwendung der neuen Techniken der Mensch in seinem Selbstverständnis tatsächlich ein anderer wird. Quelle: „Humanität“ von Volker Gerhardt
Von Hans Klumbies