Der Theologe Meister Eckhart war der erste deutsche Philosoph

Für Vittorio Hösle war Dominikaner Meister Eckhart, der von 1260 bis 1327/28 lebte, aus verschiedenen Gründen der erste deutsche wahrhaftige Philosoph. Unter anderem war der Erste, der eigene philosophische Gedanken in der Volkssprache artikulierte. Manche seine Ideen nehmen auf verblüffende Weise religionsphilosophische Ideen der späteren deutschen Tradition vorweg, die von anderen christlichen Gedankengebäuden gravierend abweichen, wie schon seine Zeitgenossen erkannten. Gegen Ende seines Lebens wurde zuerst in Köln, dann in Avignon ein Inquisitionsprozess gegen Meister Eckhard geführt, der 1329 mit der posthumen Verurteilung von 17 seiner Thesen als häretisch endete. Vittorio Hösle erklärt: „Offenbar sah man Ähnlichkeiten zwischen seiner Lehre und derjenigen der Schwestern und Brüdern des freien Geistes, denen man nachsagte, sich im Namen der Freiheit des Geistes von den Dogmen und Normen der Kirche gelöst zu haben.“ Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA). 

Meister Eckhart wollte mit der Volkssprache auch die Ungelehrten erreichen

Wenn auch Meister Eckhart den deutschen Idealismus nicht wesentlich beeinflusst hat, so profitierte schon der junge Georg Wilhelm Friedrich Hegel von dessen Schriften und zitiert ihn in seinen religionsphilosophischen Vorlesungen. Da Meister Eckhart ausgebildeter Theologe war, schrieb er eine große Zahl seiner Werke auf Latein, doch daneben auch viel auf Deutsch – vor allem Predigten, von denen viele in Frauenklöstern vorgetragen wurden, aber auch einige Traktate. Auch seine „Reden der Unterweisung“, ethische Lehren, die für seine Ordensbrüder gedacht waren, verfasste er in deutscher Sprache.  

Meister Eckard rechtfertigt die Benutzung der Volkssprache damit, dass man nur mit ihr die Ungelehrten erreichen könne. Auf die Frage, was das inhaltlich Innovative an Meister Eckarts Philosophie ist, antwortet Vittorio Hösle wie folgt: „Mit einer gewissen Vereinfachung lässt sich sagen, dass sie einen rationalistischen Grundentwurf mit einem neuen Interesse an einer unvermittelten Gottesbeziehung verbindet.“ Wobei die Auffassung, dass die Vernunft den Glauben legitimieren könne und müsse, im frühen Mittelalter durchaus verbreitet ist.

Die Philosophie ist für Meister Eckhart das Maß der Theologie

Meister Eckhart betont in seiner Lehre, dass nur die Erleuchteten wissen könnten, was die Grobsinnigen nur glaubten. Das Interesse an einer direkten Gottesbeziehung teilt Meister Eckert mit denen, die man als Mystiker bezeichnet und überall im christlichen Europa, ja, auch in vielen anderen Religionen findet. Mystisch Gesinnten begegnete er unter anderem in Frauenklöstern, die er seelsorgerisch betreute. Vittorio Hösle fügt hinzu: „Aber bei Eckhart kann man bestenfalls von philosophischer Mystik reden, weil er auf höchst komplexe Weise argumentiert und sich keineswegs mit der Hervorrufung oder Schilderung religiöser Erfahrungen begnügt.“

Meister Eckhart vertritt die These, dass die Heilige Schrift nur durch den Geist richtig begriffen werden kann. Die Philosophie ist für ihn das Maß der Theologie. Er liest seine eigenen metaphysischen und ethischen Überzeugungen in den Text der Bibel hinein. Bei der Frage nach dem Gottesbegriff verteidigt Meister Eckhart die These, dass in Gott das Erkennen das Sein begründet. Sein ist der Vorhof, aber die Vernunft ist der Tempel Gottes. In diesem Sinne nennt er Gott im „Buch der göttlichen Tröstung“ aller Geister Geist.

Von Hans Klumbies