Jakob Böhme stellt die Frage nach dem Leiden auf der Welt

Für Vittorio Hösle gebührt der Ehrentitel des ersten epochemachenden deutschen Philosophen der Neuzeit Jakob Böhme, der von 1575 bis 1624 lebte. Seinem ersten Werk „Aurora oder Morgenröte im Aufgang“ ging eine lange Phase innerer Gärung voran. Jakob Böhme rühmt sich, nicht aus Büchern gelernt zu haben, sondern aus seinem eigenen Buch, das sich ihm geöffnet hat. Jakob Böhme strebt eine Theosophie an, das heißt eine Erkenntnis Gottes, die ein Verständnis auch der Natur aus Gottes trinitarischem Wesen heraus ermöglichen soll. Laut Vittorio Hösle ist Jakob Böhme sicher kein rationaler Theologe. Statt rigoros zu argumentieren, wendet er sich im Namen des Geistes oft gegen die Vernunft: Vittorio Hösle erklärt: „Seine Begriffswelt vermischt kategorial unterschiedliche Ebenen – metaphysische Prinzipien, naturphilosophische, zumal alchemistische Kategorien, Engel und Teufel; seine zahlreichen Werke sind voller Wiederholungen.“ Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).

Ohne ein negatives Prinzip wird nichts offenbar

Ungeachtet aller Mängel, besteht für Vittorio Hösle kein Zweifel daran, dass sich Jakob Böhme mit unerhörtem Mut einer Frage stellt, um die von der traditionellen Theologie gerne ein großer Bogen gemacht wird: „Woher kommt das Leiden und das Böse auf die Welt?“ Leiden und Böswilligkeit müssen seiner Meinung nach mehr sein als bloßer Mangel, und wenn Gott der Schöpfer von allem ist, müssen auch sie in ihm ihren Grund haben. Jakob Böhme hält es für unvermeidlich, auch in Gott selbst ein negatives Prinzip anzusetzen.

Einer der entscheidenden Gedanken Jakob Böhmes ist, dass ohne Gegensatz nichts offenbar wird. Er schreibt: „Gott wäre in seich selber unkenntlich, und wäre darinnen keine Freude oder Erheblichkeit, noch Empfindlichkeit ohne das Nein.“ Das positive und negative Prinzip bilden allerdings in Gott selbst nur zwei Zentren einer einzigen Einheit. Noch sind Himmel und Hölle die Folge der Trennung dieser Zentren, die als Liebesfeuer und Zornesglut bezeichnet werden.

Der Grimm ist das innerste Wesen des Teufels

Jakob Böhme sieht im Abfall der Engel und des Menschen von Gott keinen notwendigen Prozess, sondern deutet sie als Resultat des freien Willens der Engel beziehungsweise Menschen. Vittorio Hösle erläutert: „Indem Lucifer das Nein dem Jah überordnet und ein Herr im Nein sein will, trennt er sich von Gott und wird dem Zornfeuer überantwortet. Gott, der im Lichte „ein Ichts“ ist, ist in der Hölle ein Nichts, also nicht präsent.“ Zwar ist der Grimm des Teufels für Jakob Böhme ein Ausdruck des negativen göttlichen Prinzips, wobei man das nicht so verstehen darf, als ob Gottes Zorn von außen ihn verstockt. Sondern der Grimm ist vielmehr sein inneres Wesen.

Jakob Böhme schreibt: „Die Vernunft redet wol viel von Gott und seiner Allmacht, aber sie verstehet wenig von Gott und seinem Wesen, was und wie er sey: Sie sondert die Seele ganz von GOtt ab, als sei sie nur ein sonderliches Wesen …; und daß ist der große Schade der Blindheit, darum man zancket, disputiret, und keinmal zum wahren Fundament kommt.“ Eine Wiedervereinigung von Jah und Nein ist für Jakob Böhme durch Christus möglich. Auch seine eigenen Einsichten schreibt er dem Geiste Christi zu.

Von Hans Klumbies