Hegel war der größte Sytematiker der Philosophiegeschichte

Vittorio Hösle stellt sich die Fragen, was das System des großen Denkers Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770 – 1831) so attraktiv macht, warum es immer wieder Hegelrenaissancen gegeben hat und warum kein bedeutender Philosoph um eine Auseinandersetzung mit ihm herumkommt. Für Vittorio Hösle steht fest: „Man mag Hegel ablehnen; doch wer ihn ignoriert, wird eine bestimmte Ebene des Philosophierens gar nicht in den Blick bekommen, ohne die philosophische Größe nicht zu erringen ist.“ Eine der Antworten, die Vittorio Hösle auf seine eingangs gestellten Fragen gibt, ist, dass Georg Wilhelm Friedrich Hegel der größte Systematiker der Philosophiegeschichte ist. Es gibt keinen anderen Philosophen, der nicht nur alle Disziplinen seines Faches vergleichbar bereichert, sondern diese Disziplinen auch in einen schlüssigen Ordnungszusammenhang gebracht hat. Vittorio Hösle ist Paul Kimball Professor of Arts and Letters an der University of Notre Dame (USA).

Das Studium von Teilbereichen der Wirklichkeit führt zu Reduktionismen

Spezialisierung ist für Vittorio Hösle gewiss das Schicksal aller Fächer, aber man kann der Idee der Philosophie nur treu bleiben, wenn man Gegenmittel gegen die Spezialisierung einsetzt, und das Studium des Systems von Georg Wilhelm Friedrich Hegel bleibt dabei wohl das stärkste. Vittorio Hösle fügt hinzu: „Die philosophischen Disziplinen sind miteinander vernetzt, so dass man etwa Ethik ohne Kenntnis der Biologiephilosophie gar nicht betreiben kann, weil alle moralischen Wesen, die wir kennen, zugleich Organismen sind.“

Vittorio Hösle warnt davor, nur einen Teilbereich der Wirklichkeit zu studieren, denn dies führt fast immer dazu, ihn für grundlegend zu halten. Reduktionismen sind seiner Meinung nach die natürliche Folge einer Weigerung, das Ganze in den Blick zu nehmen. Das Hauptwerk von Georg Wilhelm Friedrich Hegel, die „Enzyklopädie“, ist vor allem die Ausarbeitung des Kosmos der Ideen, der Platon und Plotin vorschwebte. Berühmt geworden ist der große Philosoph auch durch seine ganz spezifische Methode, die Dialektik.

Widersprüche in Theorien und Institutionen deuten auf Unwahrheit hin

Georg Wilhelm Friedrich Hegel hat die Dialektik virtuoser gehandhabt, als er sie selbst zu klären vermocht hat. Jede rationale Rekonstruktion der Hegelschen Dialektik setzt den Satz vom Widerspruch voraus. Vittorio Hösle erklärt: „Hegel schließt selbst aus Widersprüchen in Theorien und Institutionen auf deren Unwahrheit. Doch lehrt er, dass widersprüchliche Theorien und Institutionen existieren; und er meint, dass Begriffe dann widersprüchlich seien, wenn sie einseitig sind, das relative Recht ihrer Gegenbegriffe nicht anerkennen und ihre eigenen Präsuppositionen nicht einholen.“

Das sind für Georg Wilhelm Friedrich Hegel die Kennzeichen des dogmatischen Verstandes. Der Begriff des reinen Seins ist für ihn widersprüchlich, weil er Unbestimmtheit bedeutet, aber durch diese Bedeutung selbst bestimmt ist. Daher ist der Begriff des Daseins als bestimmten Seins ein Fortschritt. Vittorion Hösle ergänzt: „Der Begriff des Endlichen wird der Stabilität nicht gerecht, die er als Begriff haben muss, aber der Begriff des ihm entgegengesetzten Schlecht-Unendlichen setz das Unendliche dem Endlichen entgegen und verendlicht es damit.“

Von Hans Klumbies