Jeder muss den Sinn des Lebens in seinem eigenen Sein verwirklichen

In dem Buch „Über den Sinn des Lebens“ sind Vorträge von Viktor Frankl wiedergebeben, die das gesamte Denken des großartigen Arztes und Psychotherapeuten verdeutlichen. Für Joachim Bauer, der das Vorwort des Buches verfasst hat, war Viktor Frankl ein Gigant, der für ihn auf einer Stufe mit Hippokrates und Albert Schweitzer steht. Alles liegt für Viktor Frankl am einzelnen Menschen, ungeachtet der allenfalls geringen Menge Gleichgesinnter, und alles liegt daran, dass er schöpferisch, in der Tat – und nicht mit bloßen Worten – den Sinn des Lebens in je seinem eigenen Sein verwirklicht. Viktor E. Frankl war Professor für Neurologie und Psychiatrie an der Universität Wien und 25 Jahre lang Vorstand der Wiener Neurologischen Poliklinik. Er begründete die Logotherapie, die auch Existenzanalyse genannt wird.

Das Leben ist eine große Verpflichtung

Zudem ist das Leben für Viktor Frankl eine große Verpflichtung. Wohl gibt es im Leben auch Freude, die allerdings nicht angestrebt werden kann, denn sie muss sich vielmehr von selbst einstellen. Glück soll und darf und kann nie Ziel sein, sondern nur Ergebnis. Viktor E. Frankl erklärt: „Auf jeden Fall ist alles Glückstreben des Menschen insofern verfehlt, als ein Glück ihm nur in den Schoß fallen kann, niemals jedoch sich erjagen lässt.“ Nicht der Mensch darf nach dem Sinn des Lebens fragen, das Leben ist es, das die Fragen stellt.

Leben heißt nach Viktor Frankl nichts anderes als Befragt-sein, als das menschliche Sein ist nichts weiter als ein Antworten – ein Verantworten des Lebens. In dieser Denkposition kann einen Menschen jetzt auch nichts mehr schrecken, keine Zukunft, keine scheinbare Zukunftslosigkeit. Denn nun ist die Gegenwart alles, denn sie stellt die ewig neue Frage des Lebens an jeden Menschen. Nun kommt alles darauf an, was jeweils von einem Einzelnen erwartet wird.

Das Schicksal lässt sich gestalten

Nicht nur in seiner Tätigkeit kann ein Mensch seinem Leben insofern Sinn geben, als er seine konkreten Fragen verantwortungsbewusst beantwortet, nicht nur als Handelnder kann er die Forderungen des Daseins erfüllen, sondern auch als Liebender: in seine liebende Hingabe an das Schöne, das Große, das Gute. Tätig gibt man seinem Leben einen Sinn, aber auch liebend – und schließlich leidend. Denn wie ein Mensch sich zu den Einschränkungen seiner Lebensmöglichkeiten verhält, wie er sein Leiden unter solchen Entbehrungen auf sich nimmt, in alldem vermag er noch Werte zu verwirklichen.

Das Leiden unter einem Unglück ist allerdings nur dann ein sinnvolles Leiden, wenn dieses Unglück schicksalhaft ist, also unvermeidlich und unausweichlich. Das Schicksal, das also, was einem Menschen widerfährt, lässt sich auf jeden Fall gestalten – so oder so. „Es gibt keine Lage, die sich nicht veredeln ließe, entweder durch leisten oder durch dulden“, wusste schon Johann Wolfgang von Goethe. Das Leben erscheint für Viktor Frankl nicht mehr als eine Gegebenheit, sondern als eine Aufgegebenheit – es ist in jedem Moment eine Aufgabe. Daraus resultiert aber auch schon, dass es umso sinnvoller werden kann, je schwieriger es wird.

Über den Sinn des Lebens
Viktor E. Frankl
Verlag: Beltz
Gebundene Ausgabe: 136 Seiten, Auflage: 2019
ISBN: 978-3-407-86588-5, 15,95 Euro

Von Hans Klumbies