Die Empfindung der Zeitnot ist ein kollektives Problem

Gemäß Ulrich Schnabel sind die üblichen Zeitspartechniken denkbar ungeeignet, um den Menschen zu mehr Muße zu verhelfen. Weder führt der mechanische Fortschritt in das ersehnte Paradies der endlosen Zeitfülle, noch macht eine verbesserte Organisation der Arbeit die Menschen zu entspannten Müßiggängern. Ulrich Schnabel schreibt: „Die Ursachen für das Gefühl des Gehetztseins liegen tiefer, und der erste Schritt zu einem entspannteren Leben besteht darin, sich zunächst einmal mit diesen Ursachen und unseren psychologischen Mechanismen und Wertvorstellungen auseinanderzusetzen.“ Dabei gilt es seiner Meinung nach vor allem, auch einige der populärsten Irrtümer über den Begriff der Muße auszuräumen. Ulrich Schnabel studierte Physik und Publizistik und arbeitet als Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „DIE ZEIT“.

In der Gesellschaft herrscht das Grundpinzip der Beschleunigung

Eines der Missverständnisse besteht für Ulrich Schnabel in jenem Glauben, den all die Simplify-your-life-Ratgeber und Zeitmanager suggerieren: dass es sich nämlich um ein individuelles Problem handelt, dass man durch eine entsprechende Änderung im Verhalten leicht lösen kann. Ulrich Schnabel erklärt: „In Wahrheit ist die Empfindung der Zeitnot längst kein persönliches Problem mehr, sondern ein kollektives.“ Wer ständig von gehetzten Menschen umgeben ist, kann sich seiner Meinung nach dieser Atmosphäre nicht ohne weiteres entziehen.

In einer Gesellschaft, die auf dem Grundprinzip der Beschleunigung basiert, ist es für Ulrich Schnabel kaum möglich, ganz entspannt im Hier und Jetzt zu leben, auch wenn manche Leute gerne so tun, als hätten sie diesen Idealzustand erreicht. Es kann allerdings schon hilfreich sein, sich nicht selbst mit überzogenen Ansprüchen zu peinigen. Ulrich Schnabel schreibt: „Manchmal ist das Leben eben hektisch – nicht weiter schlimm, solange die Hektik nicht zum Dauerzustand wird und man auch versteht, sich mußevolle Ruhepausen zu gönnen.“

Aufwand und Exotik garantieren keine Muße

Ein weiteres Missverständnis besteht für Ulrich Schnabel in der Ansicht, dass zur Muße besondere Auszeiten nötig seien, die nur außerhalb des gewöhnlichen Alltags und mit hohem Aufwand realisierbar sind. Ulrich Schnabel erklärt: „Gewöhnt an eine Konsumgesellschaft, die jedes Bedürfnis durch entsprechende Produkte befriedigt, wird eben oft auch die Muße als konsumierbares Gut betrachtet.“ Wer sich gestresst fühlt, bucht zum Beispiel einen Entspannungskurs, wer unter Zeitnot leidet kauft sich einen Ratgeber zum Zeitmanagement.

Die Werbung schlachtet laut Ulrich Schnabel das Bedürfnis der Menschen nach Ruhe gnadenlos aus. Er schreibt: „Je exotischer und aufwändiger, so scheint es, desto mehr Muße. Das Gegenteil ist richtig.“ Eine Fernreise beispielsweise bedeutet erheblichen Stress für Körper und Psyche. Ulrich Schnabel ist davon überzeugt, dass man der Muße vermutlich näher als mit einer Fernreise käme, wenn man das Geld vier Wochen in eine Köchin und in einen Butler investierte und sich zuhause einmal richtig verwöhnen ließe.

Von Hans Klumbies