Psychologen machen einen Unterschied zwischen den Begriffen „Mitleid“ und „Mitgefühl“. Das reine Mitleid ist dabei jene Art von teilnahmsvollen Kummer, die sich auf eine Zuschauerrolle beschränkt, passiv bleibt und einen sicheren emotionalen Abstand wahrt – es entspricht also jener Haltung, die die meisten Menschen zum Beispiel gegenüber Obdachlosen einnehmen. Ulrich Schnabel ergänzt: „Man fühlt sich betroffen, hat eventuell auch ein schlechtes Gewissen, spürt aber nicht den Antrieb oder hat nicht die nötigen Mittel, einzugreifen und die Situation des anderen substanziell zu verbessern.“ Anders hingegen ist es beim Mitgefühl, das mit der Bereitschaft einhergeht, sich persönlich zu engagieren – was zum beispielsweise der Fall ist, wenn ein naher Verwandter obdachlos wird. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.
Im Mitleid drückt sich häufig eine Distanz aus
Dabei entscheidet vor allem der Grad der Vertrautheit, ob ein Mensch eher das eine oder das andere empfindet: Je näher uns der andere steht, desto eher fühlen wir uns angesprochen, ihm in einer Notlage beizustehen. Während Mitgefühl aus der Erfahrung resultiert, dass der andere einem selbst nicht fremd, sondern ähnlich ist, drückt sich im Mitleid häufig eine Distanz aus, die mit einem Gefühl der Überlegenheit einhergeht. Für den israelischen Gefühlsforscher Aaron Ben Ze`ev ist sie nicht nur mit Passivität, sondern sogar mit einer gewissen Arroganz verbunden.
Dennoch ist für Aaron Ben Ze`ev das Mitleid kein Laster: „Immerhin überwinden wir damit unsere natürliche Neigung, unseren Blick von leidenden Menschen abzuwenden. Und schon allein diese Überwindung ist ohne Zweifel gesellschaftlich nützlich und moralisch empfehlenswert.“ Dass die Unterscheidung zwischen Mitleid und Mitgefühl alles andere als eine abstrakte Frage ist, zeigt der Alltag in Kliniken, Schulen oder Pflegeheimen – also überall dort, wo ein mitfühlendes Verhalten zu Berufsbild gehört.
Der Psychologe Tobias Altmann spricht vom „Risikofaktor Empathie“
Für Krankenschwestern, Lehrer oder Pflegekräfte stellt dieser emotionale Aspekt ihrer Arbeit oft eine große Herausforderung dar. Ulrich Schnabel erklärt: „Wer mit seinen Patienten, Schülern oder Pflegefällen allzu emphatisch mitleidet, wird von negativen Gefühlen überschwemmt, ist bald emotional überlastet und Burn-out gefährdet; wer sich aus Selbstschutz gegen das Leid der anderen verschließt, verliert gerade jenes Einfühlungsvermögen, das eigentlich Voraussetzung für solche Berufe ist.“
In diesem Zusammenhang spricht der Psychologe Tobias Altmann vom „Risikofaktor Empathie“. Die negativen Emotionen einer anderen Person könnten durch „empathische Übertragung“ die eigene emotionale Stabilität erschüttern. Besonders groß wird diese Gefahr, wenn die Forderung nach einem empathischen Verhalten mit hohem Zeit- und Kostendruck einhergeht – wie es in Krankenhäusern und Pflegeheimen zunehmend der Fall ist. Auch Angehörige, die zu Hause eine pflegebedürftige Person versorgen, sind von diesem Risiko betroffen. Quelle: „Was kostet ein Lächeln“ von Ulrich Schnabel
Von Hans Klumbies