Die berühmte „Bedürfnispyramide“ geht auf den amerikanischen Psychologen Abraham Maslow zurück. Ihr zufolge gibt es verschiedene Hierarchiestufen menschlicher Bedürfnisse, und in der Regel tendiert man dazu, immer weiter an die Spitze zu gelangen. Ulrich Schnabel erklärt: „Zunächst geht es erst einmal darum, die biologischen Grundbedürfnisse wie Essen, Trinken und Schlafen zu sichern sowie für eine gewisse materielle Stabilität zu sorgen – Dach über dem Kopf, Einkommen.“ Ist das gewährleistest, tritt der Wunsch nach Zugehörigkeit, nach Liebe und Freundschaft in den Vordergrund. Ist auch dieser erfüllt, beginnt man nach Anerkennung und Status zu streben, definiert sich über gesellschaftlichen Erfolg und materielle Unabhängigkeit. Kaum sind diese Ziele erreicht, treten neue an deren Stelle: persönliche Selbstverwirklichung, Glück und Erfüllung – sei es im Beruf, Hobby oder in der Partnerschaft. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.
In früheren Zeiten gründeten Ehe und Familie nicht auf Liebe
Das ist zwar nur ein grobes Modell, und die einzelnen Stufen sind nicht streng getrennt, sondern gehen dynamisch ineinander über. Manche Menschen überspringen auch eine Stufe, indem sie zum Beispiel auf gesellschaftliche Anerkennung pfeifen und sich gleich der Selbstverwirklichung widmen. Dennoch lässt sich mithilfe dieses Schemas nicht nur die persönliche Entwicklung, sondern auch der historische Verlauf der Vorstellungen von Ehe und Partnerschaft gut beschreiben. Denn bis weit ins Mittelalter hinein ging es bei der Partnerwahl vorwiegend um die Sicherstellung grundlegender Bedürfnisse.
Ulrich Schnabel fügt hinzu: „Existenzerhalt und die Wahrung der Generationenabfolge standen jahrhundertelang bei Heirat und Ehe im Vordergrund.“ Nach dem individuellen Zusammenpassen der künftigen Eheleute wurde wenig gefragt. „Unsere Vorfahren wären nie auf den absurden Gedanken gekommen, etwas so Wichtiges wie Ehe und Familie auf etwas so Unzuverlässiges wie das Gefühl persönlicher Zuneigung und Liebe zu gründen“, erklärt der amerikanische Historiker John R. Gillis. Erst mit dem Aufkommen der bürgerlichen Familie Ende des 18. Jahrhunderts wurde aus der Arbeits- eine Gefühlsgemeinschaft.
Heute ist die erfüllende Partnerschaft gefragt
Die Ehe verwandelte sich allmählich in eine Institution, in der es nicht nur um Existenzsicherung, sondern auch um die Befriedigung sozialer Bedürfnisse wie Liebe, Fürsorge und Freundschaft ging. Heute wiederum ist das den meisten Paaren zu wenig. Dank wachsendem Wohlstand und Gleichberechtigung brauchen viele keinen Partner mehr, um materielle Sicherheit oder gesellschaftliches Ansehen zu erlangen; stattdessen ist nun die „erfüllende“ Partnerschaft gefragt. Von der Ehe erwarten heutzutage die meisten, dass sie ihnen hilft, sich selbst zu finden und ihre Karriere oder Aktivitäten zu verfolgen, die ihr wahres Selbst ausdrücken.
Der amerikanische Psychologe Eli Finkel sagt: „Um den modernen Ansprüchen zu genügen, muss man allerdings viel Zeit und psychologisches Feingefühl in die Ehe investieren, nicht zu reden von Beziehungs- und Kommunikationsgeschick.“ Wenn das gelingt, können diese Ehen sehr glücklich werden, glücklicher sogar als frühere Ehen jemals waren. Aber viele Beziehungen scheitern, weil die Partner nicht bereit oder in der Lage sind, genügend Zeit und Engagement dafür aufzubringen. Quelle: „Was kostet ein Lächeln?“ von Ulrich Schnabel
Von Hans Klumbies