Die sogenannte Resilienzforschung beschäftigt sich mit der Frage, was Menschen widerstandsfähig gegen Krisen macht. Ulrich Schnabel erläutert: „Der Begriff Resilienz bezeichnet eigentlich in der Materialkunde die Eigenschaft von Werkstoffen, nach starker Verformung wieder die ursprüngliche Gestalt anzunehmen. In der Psychologie werden heute Menschen als resilient bezeichnet, die Krisen gut verarbeiten und ohne Traumata überstehen.“ Üblicherweise werden dabei eine ganze Reihe von Faktoren genannt, welche diese seelische Widerstandskraft fördern: Wer etwa grundsätzlich optimistisch und kontaktfreudig ist, verarbeitet Krisensituationen leichter als depressive Eigenbrötler. Ebenso positiv ist es, eine Familie oder einen engen Freundeskreis um sich zu haben, in einem starken Glauben Halt finden zu können – sei der nun religiös, humanistisch oder politisch – oder in der Musik, Kunst oder Natur Trost zu erfahren, wenn alles andere finster erscheint. Ulrich Schnabel ist seit über 25 Jahren Wissenschaftsredakteur bei der ZEIT.
Niemand wird resilient geboren
Doch dann gibt es da noch einen Faktor, der eher selten erwähnt wird, aber von entscheidender Bedeutung ist: Widerstandsfähig sind vor allem jene, die bereits einige Krisen überstanden haben. Denn, anders als häufig dargestellt, ist die Resilienz keine feste Eigenschaft des Charakters, sondern eher eine dynamische Kraft, die in der Herausforderung wächst. Anders gesagt: Niemand wir resilient geboren. Vielmehr bildet sich die Resilienz angesichts von Krisen aus.
Mit der psychischen Widerstandskraft verhält es sich demnach ähnlich wie mit dem menschlichen Immunsystem: Um die nötigen Abwehrkräfte – Antikörper – zu entwickeln, muss man den entsprechenden Attacken – Krankheitserregern – erst einmal ausgesetzt sein. Wer zum Beispiel noch nie mit Problemen zu kämpfen hatte, den kann die erste große Trennung oder der erste berufliche Misserfolg komplett aus der Bahn werfen. Wer hingegen sein „seelisches Immunsystem“ schon trainiert hat, kann auch größere Krisen leichter bewältigen.
Der Mensch ist ein zähes Tier
Doch klar ist auch: Diese Art des inneren Wachstums ist weder leicht noch vergnüglich. Und selbst wenn jemand sich als resilient erweist, heißt das nicht, dass er keinen Kummer, keine Not und keine Verzweiflung kennt. Im Gegenteil, resiliente Menschen müssen sich mit Trauer, Angst oder Selbstzweifeln ebenso auseinandersetzen wie alle anderen Menschen. Sie können allerdings mit solchen Emotionen in der Regel besser umgehen als andere, meint der Psychologe George Bonnano von der Columbia University in New York.
George Bonnano erklärt: „Sie können trotz ihrer Schmerzen ihren Alltag bewältigen, zur Arbeit gehen, sich der Familie und Freunden widmen.“ Der klinische Psychologe ist davon überzeugt, dass die Fähigkeit zur Krisenbewältigung weiter verbreitet ist, als man gemeinhin annimmt. Er verweist darauf, dass sich in Studien zum Umgang mit „normalen“ Lebenskrisen wie Krebserkrankung, Tod eines Angehörigen oder Jobverlust sogar bis zu 60 Prozent aller Menschen als resilient erwiesen. Für George Bonnano ist Resilienz daher nicht die Ausnahme, sondern die Regel: „Der Mensch ist ein zähes Tier.“ Quelle: „Zuversicht“ von Ulrich Schnabel
Von Hans Klumbies