Gefühle helfen bei der Bewältigung des Lebens

Gefühle ergreifen einen Menschen spontan und unmittelbar und kümmern sich wenig um rationale Argumente. Ulrich Schnabel nennt Beispiele: „Das gilt für Freudenausbrüche ebenso wie für negative, peinliche oder schmutzige Gefühle.“ Sie alle besitzen eine ungeheure Macht des „Es ist so.“ Ein Mensch ist das, was er fühlt. Dennoch fällt es aber keineswegs leicht, Gefühle genau zu definieren. Menschen kennen eine enorm breite Palette von Gefühlen und ein extrem großes Spektrum unterschiedlicher emotionaler Zustände. Es reicht von basalen, automatisierten Effekten bis hin zu ausgefeilten, kulturell verfeinerten Regungen, in die ein hohes Maß an gedanklicher Interpretation einfließt. Ebenso groß wie das Spektrum der individuellen Ausdrucksweisen sind allerdings auch die Unterschiede zwischen verschiedenen Menschen. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

Gefühle sind einer dauernden Veränderung unterworfen

Wo der eine vor Glück fast platzen könnte, spürt der andere gerade mal ein leises Kribbeln im Bauch, wo für den einen die Gelassenheit beginnt, empfindet der andere bereits unerträgliche Langeweile. Menschen verständigen sich zwar über Gefühle und versuchen sie dadurch auf einen Nenner zu bringen – zugleich sind sie aber auch eine höchst subjektive Angelegenheit. Und sie erschließen sich vollständig nur in der Innenschau. Wie jemand ein bestimmtes Gefühl in einer bestimmten Situation empfindet, kann nur der Betroffene selbst beantworten.

Dazu kommt, dass die subjektiven Gefühle auch noch einer dauernden Veränderung unterworfen sind. Ulrich Schnabel erklärt: „Denn unsere Empfindungen sind stets im Fluss, ja, es ist geradezu ein Kennzeichen unseres Gefühlslebens, dass es gewissermaßen flüssig oder organisch ist, ständig in Bewegung und niemals starr oder eingefroren.“ Gefühle lassen sich auch ganz schwer unter die Lupe nehmen. Denn es gilt wie Robert Musil schrieb: „Je genauer wir sie beobachten, desto weniger wissen wir, was wir fühlen.“

Es gibt tausend verschiedene Formen der Liebe

Die Liebe ist dafür das beste Beispiel. Nicht nur, dass es tausend verschiedene Formen der Liebe gibt, von der erotischen Liebe über die Liebe zu den Kindern, zu Gott oder zum Fischen. Zudem kann die Liebe als sehr gemischtes Gefühl beginnen, in die alle möglichen Empfindungen hineinspielen – Stolz, Freundschaft, Begehren, Angst, Sorge, Vertrauen –, bis sich nach und nach eine oder mehrere davon stärker durchsetzen. Laut Robert Musil kann ein Gefühl auch schwanken und überhaupt verschiedene Verfassungen durchmachen.

In den verschiedensten Wissenschaftsdisziplinen hat sich in den vergangen zwanzig Jahren die Erkenntnis durchgesetzt, dass Gefühle elementare Werkzeuge zur Bewältigung des Lebens sind. Ohne ein tiefes Verständnis der Emotionen lassen sich menschliche Verhaltensweisen oft gar nicht verstehen. Denn für das Handeln eines Menschen ist die gefühlte Wirklichkeit oft sehr viel entscheidender als die reine Ratio. Heute betrachten viele Forscher die Gefühlsempfindungen als zentrale Fähigkeit der Spezies Mensch, deren Bedeutung kaum zu überschätzen ist. Quelle: „Was kostet ein Lächeln“ von Ulrich Schnabel

Von Hans Klumbies