Jeremy Rifkin fordert eine „empathische Zivilisation“

Der Begriff „Empathie“ hat in den vergangenen Jahren eine steile Karriere gemacht, selbst Politiker wie der amerikanische Präsident Barack Obama klagen über fehlende Empathie, und Vordenker wie Jeremy Rifkin fordern gar eine „empathische Zivilisation“. Auch Straftaten werden heute gerne damit erklärt, dass der Täter einen Mangel an Empathie habe und daher im Gefängnis oder in der Therapie dazu gebracht werden müsse, mehr Empathie zu empfinden. In Ulrich Schnabel regt sich Widerspruch: „Solange Empathie jedoch lediglich als Einfühlung verstanden wird, garantiert ein Mehr davon noch längst kein friedlicheres oder freundlicheres Verhalten.“ Zum einen ist die Empathie nämlich meist nur auf die Angehörigen der eigenen Gruppe beschränkt und dient damit als Abgrenzung gegen andere. Ulrich Schnabel ist Wissenschaftsredakteur der Wochenzeitung „Zeit“ und Autor mehrerer erfolgreicher Sachbücher.

Aggressivität lässt sich nicht mit einem Mangel an Einfühlung erklären

Zum anderen beweist auch das Verhalten von Psychopathen, dass besseres Einfühlungsvermögen nicht notgedrungen zu mehr Menschlichkeit führt. Ulrich Schnabel erklärt: „Rabiate Psychopaten zeichnen sich nämlich oft gerade durch die Fähigkeit aus, sich bestens in die Psyche ihrer Opfer einfühlen und diese nach Belieben manipulieren zu können.“ Das Einfühlen führt eben nicht notwendigerweise auch zu Mitgefühl. Der Forensik-Psychiater Hans-Ludwig Kröber hält deshalb die übliche Diagnose vom Mangel an Empathie bei Straftätern für modisches Gerede.

Auch eine Meta-Studie des Psychologen David Vachon zeigt, dass Aggressivität sich in der Regel nicht durch einen Mangel an Einfühlung erklären lässt. Der Zusammenhang zwischen Aggression und Empathie sei „überraschend schwach“ stellte David Vachon fest, nachdem er 86 Studien zum Thema ausgewertet hatte. David Vachon kritisiert: „Diese Befund ist ausgesprochen beunruhigend angesichts der großen Rolle, die Empathie derzeit bei der Diagnose von Aggressionsstörungen, der Einschätzung der künftigen Gefährlichkeit und der Behandlung von Straftätern spielt.“

Nur dauerhaftes Engagement führt zu tiefgreifenden Veränderungen im Verhalten

Statt einfach mehr Einfühlung zu fordern, sollte man eher fragen, wie man eine grundsätzlich menschenfreundlichere Haltung fördert, die durch Mitgefühl und Rücksichtnahme gekennzeichnet ist. Das ist übrigens nicht notwendigerweise mit dem Buddhismus verknüpft. Auch das Christentum predigt schließlich seit rund 2.000 Jahren Mitgefühl und Solidarität mit den Schwachen. Die „Mitleidenschaft“ oder „Compassion“ ist dem Theologen Johann Baptist Metz zufolge sogar der Kern des Christentums und seine zentrale Botschaft für die Menschheit.

Ein paar Stunden Mitgefühlsmeditation oder ein paar Tage Mitarbeit im Altenheim können allenfalls ein Anstoß sein, um wirklich eine mitfühlende Sicht auf die Welt zu entwickeln. Um tiefgreifende Veränderung im Verhalten zu bewirken, braucht es ein dauerhaftes Engagement. Denn mentale und emotionale Veränderungen brauchen Zeit. Es kann allerdings durchaus sein, dass man sich kurzfristige weniger gestresst und ausgeglichener fühlt. Messbare biochemische Veränderungen treten allerdings erst nach einigen Monaten auf. Quelle: „Was kostet ein Lächeln“ von Ulrich Schnabel

Von Hans Klumbies