Die Angst vor dem Unbekannten ist weit verbreitet

Es ist ein großer Fehler, wenn man von irgendwelchen Ängsten sein Leben bestimmen lässt. Denn die Angst vernebelt den Blick, stört das klare Denken und verhindert so, dass man dem Beängstigenden auf kluge Weise entgegentritt. Ulrich Schnabel betont: „Denn längst nicht alles, was in den Medien groß ausgewalzt wird, bedroht tatsächlich unser Leib und Leben: was uns mehr Sorgen machen sollte, sind gerade oft die alltäglichen und banalen Dinge.“ Fragt man Menschen, wovor sie sich fürchten, hört man häufig von der Angst vor gentechnisch veränderten Lebensmitteln, vor chemischen Konservierungsmitteln oder Hormonen im Fleisch. „Auf all diese Dinge sind aber nur etwa 15 tödliche Krebserkrankungen im Jahr zurückzuführen“, rechnet der Risikoforscher Ortwin Renn vor. Ulrich Schnabel ist seit über 25 Jahren Wissenschaftsredakteur bei der ZEIT.

Unter Zwang gehen Menschen unglaubliche Risiken ein

Dagegen würden mehr als 70.000 Menschen an tödlichen Krebserkrankungen sterben, die durch ungesunde Ernährungsgewohnheiten veranlasst sind; „das heißt durch zu viel Essen, zu viel Fleisch, zu viel Fett, zu viel Zucker“. Die wahrgenommenen und tatsächlichen Gesundheitsrisiken liegen auf diesem Gebiet – wie auch auf vielen anderen – weit auseinander. Denn ebenso wie die Gefahren des Autoverkehrs sind vielen Menschen auch jene von Zucker und Fett wohlvertraut; Hormone und gentechnisch Lebensmittel stellen neue Risiken dar und erscheinen daher automatisch als gefährlicher.

Ein zweiter Faktor kommt hinzu. Ulrich Schnabel kennt ihn: „Entscheidend für unsere Risikowahrnehmung ist auch die Frage, ob wir eine Situation selbst unter Kontrolle haben oder uns ohnmächtig fühlen.“ Wenn man beispielsweise selbst am Steuer eines Autos sitzt, erscheinen einem die Risiken des Straßenverkehrs beherrschbar; einem unbekannten Attentäter dagegen fühlt man sich schutzlos ausgeliefert. Der Risikoforschung zufolge gehen Menschen freiwillig sogar bis zu tausendfach höhere Risiken ein, wenn sie sich unter Zwang fühlen.

Viele Menschen folgen einer instinktiven Neigung zum Dramatisieren

Umgekehrt vergrößert kaum etwas die Angst eines Menschen so sehr wie das Gefühl der Ohnmacht und Hilfslosigkeit. Dieses gefühlsmäßige Bewerten von Gefahren führt gerade im Hinblick auf die Zukunft zu einer fatalen Konsequenz: Denn die künftige Entwicklung ist per se unbekannt und erzeugt schon allein dadurch Angst; zudem liegt sie nicht in der eigenen Hand, was das unterschwellige Gefühl der Unsicherheit und Bedrohung noch verstärkt. Die Globalisierung und Digitalisierung sowie die zunehmende Komplexität der modernen Welt vermitteln vielen Menschen das Gefühl, die Dinge nicht mehr selbst steuern zu können.

Diese Angst ist so diffus, so wenig zu fassen und zu bekämpfen, dass sie übermächtig werden kann. Das geht so weit, dass manche Menschen nur noch schwarzsehen und selbst jene Entwicklungen ignorieren, die eigentlich positiv sind. „Menschen haben einfach grundlegend falsche Vorstellungen von der Welt, sie folgen einer instinktiven Neigung zum Dramatisieren“, sagt der schwedische Forscher Ola Rosling, der mit seinem Vater Hans Rosling das Buch „Factfullness“ verfasste. Quelle: „Zuversicht“ von Ulrich Schnabel

Von Hans Klumbies