Ulrich Herbert analysiert die Jugend in der Weimarer Republik

Drei Momente waren es vor allem, welche die Entwicklung der Jugend in der Weimarer Republik kennzeichneten; zum einen die Ausläufer der Jugendbewegung, die sich nun zwar in unzählige „Stämme“, „Bünde“ und „Meuten“ differenzierte, aber doch in gewissen Kernelementen weiterhin Gemeinsamkeiten aufwies. Ulrich Herbert nennt Beispiele: „Wandern, Natur, Großstadtkritik, Autonomie, Kameradschaftsprinzip.“ Dabei war die national orientierte Jugendbewegung die bei Weitem mitgliederstärkste Richtung, organisiert in zahlreichen großen und kleinen Gruppen, unterschieden oft nur durch die Ausrichtung auf verschiedene Anführer oder Idole, aber doch geeint in der Orientierung an Volk, Nation und Deutschtum, wobei der Bogen von den Pfadfindern und politisch neutralen Bünden bis hin zu aggressiven völkischen Jugendbünden reichte. Ulrich Herbert zählt zu den renommiertesten Zeithistorikern der Gegenwart. Er lehrt als Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.

In der politischen Arena setzt ein Jugendmythos ein

Die Politisierung war das zweite wichtige Merkmal der Jugend in den Weimarer Jahren. Zum einen fungierten viele der national orientierten Bünde als Jugendabteilung einer der nationalen Parteien oder Verbände, so der Jungstahlhelm, die Jugendabteilung des Jungdeutschen Ordens oder der Jungnationale Bund der DNVP, später dann insbesondere die Hitlerjugend. Ulrich Herbert erklärt: „Dass überhaupt Parteien nun eigene Jugendverbände besaßen, war bereits Ausdruck der wachsenden Bedeutung des Jugendmythos in der politischen Arena.

Kennzeichen dieser Verbände waren das Prinzip der Auslese, militärische Ordnung und Orientierung auf einen Führer, dem Gefolgschaft geleistet wurde. Zugleich verknüpften sich bei vielen Jugendgruppen die romantischen Elemente der Vorkriegsjahre und die soldatischen Ideale des Mythos der Frontkämpfer mit dem Empfinden, dass die politischen Fragen der Gegenwart nicht von den „Alten“, sondern nur von der Jugend zu lösen seien, die nicht eigenen Interessen, sondern den Idealen der Gemeinschaft verpflichtet sei.

Die radikalen Flügelparteien profitierten von der Jugendwelle

Die Einigkeit der Jugend stand hier gegen Pluralismus und öffentlichen Streit, militärische Organisation gegen Selbstbestimmung und Individualismus. Auch die Sozialdemokraten, das Zentrum und die liberalen Parteien versuchten sich dem Jugendmythos zu öffnen und gründeten eigene Jugendverbände: Fahrten, Zeltlager und eine Mischung aus Pfadfinderwesen und militärähnlicher Erziehung auch hier, wenngleich mit erheblichen Abweichungen in der weltanschaulichen Ausrichtung.

Die „Falken“ der Sozialdemokraten orientierten sich auf Republik und Sozialismus und waren eng in das sozialdemokratische Milieu eingebunden, während die verschiedenen katholischen Jugendverbände ihren Nachwuchs in kritischer Distanz zur Demokratie und modernen Umwelt erzogen. Beide Richtungen waren bei den Jugendlichen durchaus erfolgreich, aber es war doch früh erkennbar, dass es vor allem die beiden radikalen Flügelparteien waren, die von der Jugendwelle profitierten. Kommunisten und Nationalsozialisten hatten nicht nur die jüngste Mitgliederschaft aller Parteien, für sie stimmten nach 1930 auch die meisten Jungwähler. Quelle: „Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert“ von Ulrich Herbert

Von Hans Klumbies