Ein Fake verfolgt meist unlautere Absichten

Thomas Strässle stellt fest: „Die gegenwärtige Debatte über den Fake ist in erster Linie eine politische Debatte, keine philosophische oder ästhetische. Sie hat es mit einem Phänomen zu tun, das sich als manipulativer Übergang an Fiktionalität über die Faktizität beschreiben lässt.“ Solche Manipulationen können aus unterschiedlichsten Gründen und mit verschiedenen Zielen geschehen. Sie erfolgen aber meist aus unlauteren Absichten. Entsprechend trägt die Debatte auch moralische Züge. Der Fake gilt als eine Plage der Gegenwart, die mit allen Mitteln bekämpft und nach Möglichkeit wieder aus der Welt geschafft werden soll. Univ. – Prof. Dr. Thomas Strässle ist Leiter des spartenübergreifenden Y Instituts an der Hochschule der Künste in Bern. Zudem ist er Professor für Neuere deutsche und vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Zürich.

Falsches kann sogar nützlich sein

Was falsch ist, ist deswegen auch nicht automatisch böse. Falsches kann sogar nützlich, ja unentbehrlich sein, gerade auf der Suche nach der Wahrheit. Diesen verwegenen Gedankengang hat der Philosoph Hans Vaihinger in seinem Grundlagenwerk „Die Philosophie des Als Ob“ (1911) bis in die letzten Verästelungen durchdacht. Einer seiner Kernfragen lautete: „Wie kommt es, dass wir mit bewusstfalschen Vorstellungen doch Richtiges erreichen?“ Das entscheidende Wort ist dabei das ungewohnte Adjektiv „bewusstfalsch“.

Es handelt sich also nicht um Fehler, denen die Vorstellungen eines Menschen unterliegen, ohne es zu merken und zu wissen. Thomas Strässle erläutert: „Es handelt sich vielmehr um Vorstellungen, mit denen wir operieren, obschon wir wissen, dass sie willkürlich und falsch sind. Und dennoch operieren wir mit ihnen glücklich und erfolgreich, mehr noch: Wir kämen ohne sie überhaupt nicht zum Ziel.“ Das ist kein Phänomen, das sich auf bestimmte Felder eingrenzen ließe, sondern es ist ein allgemeines Prinzip.

Für Hans Vaihinger gibt es zwei Formen der Fiktion

Es zeigt sich im theoretischen Bereich zum Beispiel in der Vorstellung vom Atom, im praktischen Bereich in der Vorstellung von der Willensfreiheit und im religiösen Bereich in der Vorstellung von der Gnade. Sie alle sind logisch widerspruchsvoll, aber durchaus ertragreich. Für Hans Vaihinger steht jedenfalls fest: „Wir kommen im theoretischen, im praktischen und im religiösen Gebiet zum Richtigen auf der Grundlage mit Hilfe des Falschen.“

Im Zentrum seiner Überlegungen steht der Begriff der „Fiktion“. Thomas Strässle weiß: „Vaihinger nun grenzt zwei grundlegend verschiedene Formen der Fiktion voneinander ab: die wissenschaftliche Fiktion von allen anderen Fiktionen, insbesondere die ästhetischen.“ Er schlägt vor, diese dann nicht Fiktionen, sondern „Figmente“ zu nennen. Während Fiktionen dem Zweck des Denkens dienen müssen, brauchen Figmente bloß ästhetische Empfindungen zu wecken. Zum Beispiel ist Pegasus ein Figment, ein Atom dagegen ist eine Fiktion. Quelle: „Faketionales Erzählen“ von Thomas Strässle in Philosophicum Lech Nr. 24 „Als ob!“ von Konrad Paul Liessmann (Hg.)

Von Hans Klumbies

Schreibe einen Kommentar