Angela Merkel hat die Politik in Deutschland entpolisiert

Das Ansehen der Nichtwähler hat sich in manchen Kreisen deutlich verbessert. Sie werden nicht mehr als Antidemokraten beschimpft. Und das umso mehr, als es innerhalb des Spektrums der politischen Parteien, in der politischen Parallelgesellschaft keine Opposition mehr gibt, die diesen Namen auch verdient hätte und von der sich der Bürger etwas versprechen dürfte. Thomas Rietzschel kritisiert: „Wie auf dem Theater sind die Schaukämpfe in der politischen Arena unserer Tage Vorführungen ein und desselben Ensembles.“ Das dabei bisweilen die Fetzen fliegen, steigert zwar die Spannung, gefährdet aber keinesfalls den Zusammenhalt der Truppe. Nur gemeinsam können sich alle Politiker auf der Bühne behaupten. Thomas Rietzschel lebt als freier Autor in der Nähe von Frankfurt. Zuletzt erschien im Zsolnay Verlag sein Buch „Geplünderte Demokratie. Die Geschäfte des politischen Kartells“.

Der Bundeskanzlerin fehlt die Sensibilität für die bürgerliche Demokratie

Die Parteien bilden laut Thomas Rietzschel einen Block, in dem jeder das vertritt, wofür der andere mit ähnlichen Worten genauso eintritt. Selbst die alten Absprachen über die Aufteilung der Absatzgebiete nach den sozialen Milieus verlieren zunehmend an Bedeutung. Darum hat sich allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel verdient gemacht. Der kolumbianische Politikwissenschaftler Eduardo Pastrana Buelvas schrieb, nachdem er den deutschen Wahlkampf des Jahres 2013 beobachtet hatte: „Mir scheint, dass Merkel die Politik entpolisiert.“

Laut Eduardo Pastrana Buelvas hat Angela Merkel ein Bild der mütterlichen Beschützerin der Nation geschaffen, die Deutschland vor den Übeln der Welt und der Globalisierung bewahren soll. Eduardo Pastrana Buelvas fügt hinzu: „Es überrascht mich zu beobachten, dass die Oppositionsparteien Bestandteil dieser Dynamik sind und den Spielregeln zu folgen scheinen.“ Die Bundeskanzlerin hat Deutschland auf Linie gebracht. Man kann nicht sagen, dass Angela Merkel mit einer besonderen Sensibilität für die bürgerliche Demokratie gesegnet ist.

Angela Merkels Rhetorik ist die der Verkündigung

Angela Merkel verzettelt sich kaum einmal in inhaltlichen Auseinandersetzungen. Überzeugungen stehen der Bundeskanzlerin nicht im Wege. Auf einen Streit der Meinungen lässt sie sich gar nicht erst ein. Der Kritiker Fritz J. Raddatz interpretierte die Sprache Angela Merkels wie folgt: „Diese Politikerin spricht überhaupt nicht. Sie will weder Kontakt noch gar Beziehungen. Ihre Rhetorik ist die der Verkündigung.“ Über Standpunkte wird unter der Regierung Angela Merkel nicht debattiert oder gestritten, sondern sie werden einfach verfügt.

Die Anmaßung der Macht ist eine Versuchung, der kaum ein Politiker widerstehen kann. Zur Tugend wurde sie laut Thomas Rietzschel erst von Angela Merkel erhoben. In der Welt am Sonntag stand im Jahr 2012 folgendes zu lesen: „Die Deutschen sind beim Kunststück der schwebenden Kanzlerin zu Zuschauern geworden, einige staunend, einige bangend, aber keiner teilnehmend. Die demokratische Öffentlichkeit in der Bundesrepublik hat in den Merkel-Jahren immer stärker die Struktur eines Theaters angenommen.“

Von Hans Klumbies