Deutschland hat sich einst nur über seine Kultur definiert

Wer eine deutsche Zeitung aufschlägt, landet mit großer Wahrscheinlichkeit bei einem Teil, über dem „Feuilleton“ steht. Oder eben „Kultur“. Hier meint „Kultur“ nicht mehr und nicht weniger als „Kunst“. Es ist Thea Dorn wichtig, darauf hinzuweisen, dass es möglicherweise doch einen Bereich gibt, in dem der Staat bestimmte Aspekte der Kultur besonders fördern und privilegieren, in diesem Sinne von „Leitkultur“ sprechen darf: „Eben wenn es um Kunst, wenn es um die geistig-kulturellen Fundamente unseres heutigen Selbstverständnisses geht.“ Kein anderes Land der Welt – außer vielleicht Italien, die zweite der „verspäteten“ europäischen Nationen, und Griechenland als Erbe des antiken Hellas – hat sich so stark, ja in einer bestimmten Epoche sogar ausschließlich über seine Kultur im Sinne von Kunst, Philosophie und Geisteswissenschaft definiert, wie Deutschland dies getan hat. Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

Eine Demokratie braucht mündige Bürger

Kein Land besitzt aufgrund seiner kleinstaatlichen Vergangenheit ein so dichtes Netz aus Opern- und Theaterhäusern wie Deutschland. Einem Radikalliberalen, der die maximale Neutralität des Staates will, sind Kultursubventionen, wie sie hierzulande immer noch großzügig gewährt werden, ein Dorn im Auge. Thea Dorn hält es für eine unselige Tendenz, dass das deutsche Bildungssystem immer stärker in Richtung „verwertbares“ Wissen umgebaut wird.

Ihrer Meinung nach wird dabei gänzlich übersehen, dass es einen kultivierten Erwachsenen nur geben kann, wenn bereits Kinder und Jugendliche mit Kultur im Sinne der Kunst in Berührung kommen. Thea fordert: „In der Kultur- und Bildungspolitik muss es eine Art von „Leitkultur“ geben. Andernfalls riskieren wir, dass und demnächst die mündigen Bürger ausgehen, die jede Demokratie braucht, wenn sie als reflektierte, kultivierte, liberal-zivilisierte Demokratie bestehen und nicht zur engstirnigen, engherzigen, infantil pöbelnden Volksherrschaft verkommen will.“

Deutsche Politiker sollten auf den Begriff „Leitkultur“ verzichten

Die Frage, welche Erscheinungsformen der deutschen Kultur im umfassenden, unordentlichen Sine des Wortes, jeder Einzelne für sich und seine Lebensgestaltung annehmen will, mit jeder Einzelne mit sich selbst ausmachen. In diesem Kontext sollten deutsche Politiker strikt aufhören, den Begriff einer „Leitkultur“ in den Mund zu nehmen. Die einzige Maxime, die hier in Deutschland am Platz ist, lautet: „Jeder soll nach seiner façon selig werden.“

Um kaum einen Begriff herrscht seit Jahrzehnten solch ein Gezerre wie um den Begriff der „Identität“. Die sogenannte Linke trägt ihn stolz vor sich her, wenn sie „Identitätspolitik“ betreibt. Die sogenannte Rechte, allen voran die „Identitäre Bewegung“, versucht, ihn neuerdings für ihre Zwecke zu kapern. Die Postmoderne hält jegliches „Identitätsgeschwätz“ für Wahn. Der Therapeut, der um die Komplexität der Spätmoderne weiß, empfiehlt die „Patchwork-Identität“. Quelle: „deutsch nicht dumpf“ von Thea Dorn

Von Hans Klumbies