Thea Dorn fordert eine Kultur des Streits

Die zentrale Tücke der Debatte um die sogenannte Leitkultur hat Norbert Elias, lange bevor der Begriff „Leitkultur“ überhaupt am Horizont aufgetaucht ist, bereits auf den Punkt gebracht: „Der Zivilisationsbegriff lässt die nationalen Differenzen zwischen den Völkern bis zu einem gewissen Grade zurücktreten; er akzentuier, was allen Menschen gemeinsam ist, oder – für das Gefühls einer Träger – sein sollte.“ Dagegen hält er lapidar fest: „Der Begriff >Kultur< grenzt ab.“ Thea Dorn allerdings glaubt nicht, dass dieser Schluss zwingend ist. Aus ihrer Sicht gibt es zwei Strategien, wie man mit diesem Begriff produktiv umgehen kann. Denn es gibt im Deutschen eine Verwendungsweise des höchst quecksilbrigen Kulturbegriffs, der ziemlich genau dem entspricht, was Norbert Elias über den Zivilisationsbegriff gesagt hat. Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

Streit kann etwas Wertvolles sein

Und zwar taucht sie immer dann auf, wenn „Kultur“ in einem zusammengesetzten Wort hinten steht. Wenn man zum Beispiel von einer „Unternehmenskultur“ spricht, meint man nicht, dass in diesem Unternehmen besonders tief empfunden oder die natürlichen Wurzeln besonders sorgfältig gepflegt würden. Das Gabler Wirtschaftslexikon etwa definiert „Unternehmenskultur“ so: „Grundgesamtheit gemeinsamer Werte, Normen und Einstellungen, welche die Entscheidungen, die Handlungen und das Verhalten der Organisationsmitglieder prägen.“

Wenn Thea Dorn „Streitkultur“ verlangt, fordert sie lediglich, dass Menschen unterschiedliche, ja entgegengesetzte Meinungen aushalten, das sie einander zuhören, dass sie den Gegner respektieren, dass sie Streit als etwas Wertvolles betrachten, was allerdings nur funktioniert, wenn man wie zivilisierte Leute streitet. Es ist allerdings nicht so, dass es sich bei der „Zivilität“ um ein die gesamte Menschheit umfassendes, gänzlich kulturneutrales Konzept handelt. Zu glauben, dass dies so sei, ist eine der Kurzsichtigkeiten des radikalen Liberalismus.

Der Staat muss als „Zwingherr“ auftreten

Johann Gottlieb Fichte hat den Ausdruck des „Zwingherrn“ geprägt. Um das in ihm geltende Recht durchzusetzen, muss der Staat als „Zwingherr“ auftreten. Andernfalls untergräbt er seine eigene Autorität. Deshalb hält es Thea Dorn beispielsweise für fatal, wenn sogenannte „Ehrenmorde“ vor Gericht mit einer gewissen Nachsicht behandelt werden, wie es hierzulande einige Male geschehen ist. Thea Dorn bezeichnet deshalb diese Greueltaten richtigerweise als „Frauenverachtungsmorde“. Und hier muss die Justiz mit aller Härte, die ihr zu Gebote steht, durchgreifen.

„Leitzivilität“ kann nicht bedeuten, dass Menschen von staatlicher Seite zur Zivilität gezwungen werden. Allerdings bedeutet das nicht, dass man es widerstandslos oder gar demütig hinnehmen müsste, wenn Gesten der Zivilität in Deutschland verweigert werden. Die Zivilgesellschaft und ihre Institutionen dürfen nicht nur, sie sollen darauf pochen, dass die Standards ihrer Zivilität eingehalten werden. Freundlich. Selbstbewusst. Und mit Nachdruck. Quelle: „deutsch, nicht dumpf“ von Thea Dorn

Von Hans Klumbies