Philosophen bewerten die Kunst sehr unterschiedlich

Zahlreiche Philosophen haben der Kultur in der Bedeutung von Kunst höchsten Wert beigemessen. Doch nicht jeder große Denker folgte ihnen darin. Platon steht der Kunst aus politischen Gründen feindselig gegenüber und vertreibt die Dichter aus seinem Staat. Immanuel Kant, der bedeutendste moderne Philosoph, reinigt die Kunst von ihrem Inhalt und reduziert sie auf die reine Form. Terry Eagleton nennt weitere Beispiele: „Für Hegel kann die moderne Kunst nicht mehr die lebenswichtige Aufgabe erfüllen, die sie in der antiken Welt wahrnahm, und muss daher der Philosophie weichen. Jeremy Bentham, dessen utilitaristische Philosophie im 19. Jahrhundert zur herrschenden Morallehre Englands wurde, erweist sich bei ästhetischen Fragen als ausgemachter Spießer.“ Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

Friedrich Nietzsche hält die Kunst für eine notwendige Illusion

Die Anhänger von Karl Marx behaupten, die künstlerische Kultur werde fortwährend in den Dienst politischer Herrschaftsansprüche gestellt und sei deshalb mit einer gewissen Skepsis zu betrachten. Friedrich Nietzsche hält die Kunst für eine notwendige Illusion. Genau wie Arthur Schopenhauer, für den sie in einer qualvollen Welt die barmherzigste Funktion erfüllt: die der Fluchthilfe. Terry Eagleton ergänzt: „Zahlreiche Denkströmungen – von den Futuristen bis zur Frankfurter Schule – haben der Kunst zum Vorwurf gemacht, uns imaginäre Lösungen für reale Widersprüche zu bieten.“

Die Zivilisation dagegen war für viele Philosophen mehr eine Frage der Fakten als der Werte – so für Thomas Hobbes oder für Jean-Jacques Rousseau, der in ihr einen beklagenswerten Abfall von einem viel besseren Naturzustand sieht. Zivilisiert im Sinne von gesittet und urban, von persönlichem Auftreten und eleganten Umgangsformen ruft nur Jean-Jacques Rousseaus kleinbürgerliche Verachtung hervor. Für Voltaire zeigt die Geschichte der Zivilisation nur, wie sich die Reichen am Blut der Armen gemästet haben.

Unter der Oberfläche der Zivilisation lauern dunkle und böse Kräfte

Nach Karl Marx hat die Zivilisation nur einen Erzeuger – die Arbeit. Das ist eine Abstammung, deren sich die Zivilisation meistens fürchterlich schämt und die sie, wie das ödipale Kind, oft genug zu leugnen trachtet. Für Karl Marx ist die Arbeit eine Form des Verkehrs mit der Natur, aus dem eine Gesellschaftsordnung entsteht; aber infolge der repressiven Bedingungen, unter denen solche Arbeit stattfindet, leidet die von ihre geschaffene Ordnung unter Konflikten und Gewalt. Leo Tolstoi kommt zu einem noch vernichtenderen Urteil über Kunst und zivilisierte Existenz.

Terry Eagleton fügt hinzu: „Berühmtberüchtigt ist Walter Benjamins Ansicht, dass Zivilisation unauflöslich mit Barbarei verbunden sei. Lange vor ihm hat Jonathan Swift diese Auffassung vertreten.“ Ende des 19., Anfang des 20. Jahrhunderts gab es genügend Menschen, für die die Zivilisation nur an der Oberfläche vorhanden war. Darunter lauerten dunkle, böse Kräfte, die jeden Augenblick in die Welt des Tageslichts hochzudrängen drohten. Kratz an einem englischen Gentleman und du findest ein wildes Tier. Quelle: „Kultur“ von Terry Eagleton

Von Hans Klumbies