Vorhersehbarkeit ist eine fundamentale Dimension sozialer Interaktionen

Für den Soziologen und Gesellschaftstheoretiker Niklas Luhmann ist die Reduktion von Komplexität und Ungewissheit ein grundlegender Bestandteil sozialer Prozesse. Eva Illouz erläutert: „Liebe ist – wie Wahrheit, Geld oder Macht – ein Kommunikationsmedium, das dabei hilft, Erwartungen zu erzeugen, eine Entscheidung unter vielen möglichen anderen auszuwählen, Motivationen mit Handlungen zu verbinden sowie Gleichheit und Vorhersehbarkeit in Beziehungen zu schaffen.“ Ein solches Medium der Kommunikation bringt Rollen hervor, die wiederum erwartete Ergebnisse produzieren. Vorhersehbarkeit ist eine fundamentale Dimension sozialer Interaktionen, die beispielsweise in Riten besonders deutlich zum Ausdruck kommt. Wenn Interaktionen ritualisiert werden, erzeugen sie Gewissheit über die Beziehungsdefinition der Akteure, über ihre Position in einer solchen Beziehung und über die dazugehörigen Verhaltensregeln. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.

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Werte verleihen einem Menschen Sicherheit

Zu den sensibelsten Bereichen eines Menschen gehören seine Werte, besonders der Selbstwert. Werte sind die als erstrebenswert oder moralisch gut betrachteten Eigenschaften von Menschen, Verhaltensweisen, Handlungsmuster und Charaktereigenschaften, aber auch von Ideen, Sachverhalten und Gegenständen. Reinhard Haller fügt hinzu: „Aus solchen Wertvorstellungen bilden wir unsere Wertesysteme und darauf aufbauend können wir Wertentscheidungen treffen.“ Werte sind ein wichtiges Element einer jeglichen Gesellschaft und Kultur. Sie werden durch ebendiese Kultur und Gesellschaft weitergegeben. Werte geben metaphysisch-religiöse Orientierung, prägen die soziale Ausrichtung und sind zentraler Bestandteil des humanistischen Denkens. Die Wertphilosophie, die ihre Höhepunkte in der Güterethik des Aristoteles und in der „Idee des Guten“ von Platon hatte, wurde später von der Moraltheologie aufgegriffen. Reinhard Haller ist Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik mit dem Schwerpunkt Abhängigkeitserkrankungen.

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Wirtschaft und Ethik lassen sich nicht trennen

Der wichtigste und essenzielle Kontext allen menschlichen Wirtschaftens sind der Planet Erde und seine Ökosysteme. Christian Felber kritisiert: „Die Trennung von Ökonomie und Ökologie ist eine der gröbsten Sündenfälle der Wirtschaftswissenschaft.“ Denn alle in Geld messbaren „ökonomischen“ Werte stammen letztlich aus der Natur. Wird dies übersehen oder negiert, kann es passieren, dass die unvollständig verstandene „Wirtschaft“, die eigentlich – ganzheitliche – Werte schaffen sollte, die ökologischen Lebensgrundlagen zerstört. Das größte globale Umweltproblem der Gegenwart ist, noch vor dem Klimawandel, der Verlust von Artenvielfalt. Während die Ökonomen mit ihren Standardmodellen der Menschheit vorrechnen, dass sie reicher wird, verarmt sie in den wesentlichsten aller Aspekte von Reichtum: in der biologischen und genetischen Vielfalt. Christian Felber lebt als Autor in Wien.

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Philosophen bewerten die Kunst sehr unterschiedlich

Zahlreiche Philosophen haben der Kultur in der Bedeutung von Kunst höchsten Wert beigemessen. Doch nicht jeder große Denker folgte ihnen darin. Platon steht der Kunst aus politischen Gründen feindselig gegenüber und vertreibt die Dichter aus seinem Staat. Immanuel Kant, der bedeutendste moderne Philosoph, reinigt die Kunst von ihrem Inhalt und reduziert sie auf die reine Form. Terry Eagleton nennt weitere Beispiele: „Für Hegel kann die moderne Kunst nicht mehr die lebenswichtige Aufgabe erfüllen, die sie in der antiken Welt wahrnahm, und muss daher der Philosophie weichen. Jeremy Bentham, dessen utilitaristische Philosophie im 19. Jahrhundert zur herrschenden Morallehre Englands wurde, erweist sich bei ästhetischen Fragen als ausgemachter Spießer.“ Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Untreue lässt sich unmöglich voraussagen

Weder Ehen noch Affären existieren im luftleeren Raum. Wie man sich verliebt, sich einem anderen Menschen gegenüber zur Loyalität verpflichtet und die Verpflichtungen wieder brechen, all dies geschieht innerhalb eines größeren sozialen Kontexts. Shirley P. Glass erklärt: „Als Männer und Frauen unterliegen wir bestimmen Rollenvorstellungen. Auch wenn man Geschlechtsunterschiede berücksichtigt, sehen Menschen die Welt durch ihre persönlichen und sozialen Filter auf unterschiedliche Art.“ Die individuellen moralischen und religiösen Werte haben ihren Ursprung in der Familie und in dem sozialen Umfeld, in dem man aufgewachsen ist. Man hat Erwartungen aufgrund der kulturellen Eindrücke, die man als Kind und Erwachsener erhält. Dr. phil. Shirley P. Glass war niedergelassene Psychologin und Familientherapeutin. Sie starb im Jahr 2003 im Alter von 67 Jahren an einer Krebserkrankung.

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Der Westen muss seine eigenen Prinzipien formulieren

Die Praxis des westlichen Universalismus war den größten Teil seiner Geschichte alles andere als universell. Er schloss viele Menschen im eigenen Land und fast alle Menschen im Ausland aus. Die Frauen und die Mitglieder der „niedrigeren“ Gesellschaftsschichten wurden als Menschen zweiter Klasse behandelt. Thomas Jefferson, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika, hielt sogar Sklaven. Timothy Garton Ash ergänzt: „Ab etwa 1500 manifestierte sich der westliche Universalismus für den größten Teil der Welt als Kolonialismus.“ Für einige hat sich diese Geschichte des westlichen Universalismus, der sich als Imperialismus manifestiert, bis in die heutige Zeit fortgesetzt. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Der Wert einer Gesellschaft wird unterschiedlich beurteilt

Eine Frage, die immer wieder gestellt wird, lautet: Worin besteht der Wert einer Gesellschaft beziehungsweise einer Nation? Die Anhänger eines Weltbildes, das sich primär an sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit orientiert, würden sagen: Der Wert einer Gesellschaft bemisst sich, welches Leben sie den Schwächsten ihrer Mitglieder ermöglicht. Thea Dorn fügt hinzu: „Anhänger eines Weltbildes, das Exzellenz im Blick hat, würden sagen. Der Wert einer Gesellschaft bemisst sich in erster Linie an ihren Leistungen auf den verschiedensten Gebieten – in der Kunst, in der Wissenschaft, in der Technik, in der Wirtschaft, im Sport.“ Man kann auch sagen, dass eine Gesellschaft, die das Streben nach Exzellenz aufgibt, sich der Schafherde annähert, die Immanuel Kant beschreibt. Thea Dorn studierte Philosophie und Theaterwissenschaften. Sie schrieb eine Reihe preisgekrönter Romane, Theaterstücke und Essays.

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Das Grundgesetz hält Deutschland zusammen

Das Grundgesetz Deutschlands ist eine großartige Errungenschaft, auf welche die Deutschen stolz sein können. Hier sind die Werte festgeschrieben, auf das Land zusammenhalten. Georg Pieper erläutert: „Sie garantieren, dass jeder sagen kann, was er denkt; lieben kann, wen er will; glauben kann, an wen oder was er mag; sein Leben gestalten kann, wie es seinen Vorstellungen entspricht.“ Sich dazu zu bekennen ist nicht nur eine Voraussetzung für den gesellschaftlichen Frieden, sondern kann noch dazu dem Einzelnen sehr viel Stärke geben. Das ist für Georg Pieper einer der wichtigsten Wege, Ängste in etwas Positives umzuwandeln. Auch die Mehrzahl der Mitbürger islamischen Glaubens empfindet eine klare Loyalität zum Grundgesetz. Gerade wenn sie Erfahrungen mit restriktiven politischen Systemen gemacht haben. Dr. Georg Pieper arbeitet als Traumapsychologe und ist Experte für Krisenintervention.

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Kultur ist die Summe intellektueller Errungenschaften

Dass das Wort „Kultur“ auf das Universum der Ideen angewandt wird, hat die Menschheit Cicero und dem alten Rom zu verdanken. Cicero beschrieb mit dem Wort das Heranziehen der Seele – „cultura animi“; dabei dachte er offensichtlich an den Ackerbau und sein Ergebnis, die Vervollkommnung und Verbesserung des Pflanzenwachstums. Was für das Land gilt, kann demnach genauso auch für den Geist gelten. Antonio Damasio schreibt: „An der heutigen Hauptbedeutung des Wortes „Kultur“ gibt es kaum Zweifel. Aus Wörterbüchern erfahren wir, dass Kultur eine Sammelbezeichnung für Ausdrucksformen intellektueller Errungenschaften ist, und wenn nichts anderes gesagt wird, meinen wir damit die die Kultur der Menschen.“ Antonio Damasio ist Professor für Neurowissenschaften, Neurologie und Psychologie an der University of Southern California und Direktor des dortigen Brain and Creative Institute.

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Die Aufklärung war von unerschrockenen Freigeistern gekennzeichnet

Das 18. Jahrhundert entwickelte sich zur Epoche der großen „Entlarvung“: der Demaskierung aller – oder jedenfalls sehr vieler – Werte und Wahrheiten, die bis dahin als unantastbar gegolten hatten. Die Aufklärung sollte in Amerika und in Frankreich zu zwei politischen Revolutionen Anstoß geben, die in der Frage legitimer Machtausübung eine nachhaltige Veränderung herbeiführen würden. Zunächst war sie jedoch von einem nüchternen und respektlosen Blick auf alles gekennzeichnet, was unlängst noch Ehrfurcht gebietend erschien. Ger Groot erläutert: „Ein unerschrockener Freigeist hielt Einzug, der sogar vor den Entlarvung der Moral als ein fadenscheiniges Deckmäntelchen, das dazu diente, die egoistischen Motive zu verbergen, nicht zurückschreckte.“ Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Das Grundgesetz sichert die Menschenwürde

Das gesamte Recht in Deutschland berücksichtigt die wichtigsten Grundwerte der Gesellschaft – Menschenwürde, Menschlichkeit und die Gleichheit aller. Jens Gnisa ergänzt: „Das Grundgesetz als oberstes Gesetz sichert das allen Bürgern zu. Jedes andere Gesetz hat diese Werte zu beachten, darüber wacht das Bundesverfassungsgericht.“ Auch die Behörden haben sie bei ihren Entscheidungen zu berücksichtigen, ebenfalls die Gerichte, wenn sie deshalb angerufen werden. Auf jeder dieser Stufen wird als die Menschenwürde streng beachtet. Den Vorstellungen des Rechts folgend, ist nach einer rechtskräftigen und abschließenden Entscheidung gar kein Platz mehr dafür, dass gesellschaftliche Gruppen diese Ergebnisse infrage stellen. Es ist gesetzt und soweit unantastbar. Dies gilt selbstverständlich auch im Ausländerrecht. Jens Gnisa ist Direktor des Amtsgerichts Bielefeld und seit 2016 Vorsitzender des Deutschen Richterbundes.

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Albert O. Hirschmann unterscheidet zwischen teilbaren und unteilbaren Konflikten

Der Soziologe Albert O. Hirschmann unterscheidet zwei Arten von Konflikten. Bei teilbaren Konflikten geht es um Interessen – etwa um Wirtschaftsinteressen oder Verteilungsfragen. Isolde Charim ergänzt: „Da kann es Zugeständnisse, Tauschhandel und Kompromisse geben. Da kann man sich auch am ökonomischen Gewinn orientieren.“ Denn der Einsatz bei einem solchen Konflikt ist eine messbare Einheit wie etwa Geld. Dabei wird um das Mehr oder Weniger gerungen. Insofern sind solche Konflikte eben „teilbar“ – also verhandelbar, debattierbar und insofern lösbar. Unteilbare Konflikte hingegen sind jene, die das nicht sind. Das sind Konflikte um Identitäten, um Kulturen, um Werte, Konflikte um religiöse oder weltanschauliche Überzeugungen wie etwa der Streit um Multikulturalismus oder der Konflikt um Sterbehilfe – Dinge also, die nicht messbar und insofern auch nicht teilbar sind. Die Philosophin Isolde Charim arbeitet als freie Publizistin und ständige Kolumnistin der „taz“ und der „Wiener Zeitung“.

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Silvio Vietta stellt die wichtigsten europäischen Wertefamilien vor

Werte prägen Menschen, steuern Epochen, geben der ganzen Kulturgeschichte eine Struktur. Silvio Vietta beschreibt in seinem Buch „Europas Werte“ die drei wichtigsten europäischen Wertefamilien. Erstens die Werte der Rationalitätskultur – persönliche wie politische. Zweitens die Werte der Religion, vor allem diejenigen des Christentums. Drittens die Werte des Patriotismus in den europäischen Ländern. Werte liegen im Konflikt miteinander, überlagern und verdrängen sich aber auch. Silvio Vietta erläutert welche Werte in der Geschichte Europas dominieren, welche an Bedeutung verlieren. Politische Einstellungen und ganze Epochen können nach der Dominanz ihrer Werte unterschieden werden. In Zeiten des augenscheinlichen Verfalls der Werte plädiert Silvio Vietta für ihre Balance und einen europäischen Patriotismus der Werte. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Politik und Recht sind immer schon moralisch

Bei der Moral geht es nicht nur um Leben und Tod, um Freiheit oder Gerechtigkeit, sondern auch um Urteile über Ernährung, Kleidung, Sex oder Drogen. Philipp Hübl stellt fest: „Moral gibt Antworten auf die Frage, was wir für richtig halten und was wir tun sollten. Darum sind Politik und Recht immer schon moralisch, weil sie auf Werten und Normen beruhen.“ Emotionen bringen einen Menschen dazu, so oder so zu handeln, aber sie nötigen oder determinieren ihn nicht. Viele Faktoren bestimmen das persönliche Handeln: Erziehung, erlernte Routinen, vernünftige Überlegungen und Grundbedürfnisse wie Hunger und Schlaf. Genauso finden sich zahllose Graustufen zwischen „Gut“ und „Böse“. Dennoch hegen viele Menschen den Wunsch nach moralischer Eindeutigkeit. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

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Gefühle können Unsicherheit und Chaos bewirken

Die Institutionalisierung der sexuellen Freiheit mittels Konsumkultur und Technologie hat folgenden Effekt gehabt. Eva Illouz kennt ihn: „Sie hat jegliche Gewissheit über die Substanz, den Rahmen und das Ziel sexueller und emotionaler Verträge grundlegend erschüttert.“ Was Eva Illouz die negative Struktur zeitgenössischer Beziehungen nennt, ist die Tatsache, dass die Akteurinnen nicht wissen, wie sie die Beziehung definieren, bewerten oder führen sollen, die sich nach vorhersehbaren und tragfähigen sozialen Drehbüchern beginnen. Die sexuelle und die emotionale Freiheit haben die bloße Möglichkeit, die Bedingungen eines Verhältnisses zu definieren, zu einer offenen Frage und zu einem Problem gemacht, das gleichermaßen psychologischer wie soziologischer Natur ist. Eva Illouz ist Professorin für Soziologie an der Hebräischen Universität von Jerusalem sowie Studiendirektorin am Centre européen de sociologie et de science politique de la Sorbonne.

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Jeder Mensch muss sich seine Freiheit selbst erarbeiten

Das Buch „Über die Kunst der inneren Freiheit“ präsentiert den Ansatz des griechischen Philosophen Epiktet (55 – 135 n. Chr.), für den die Freiheit ein lebenswichtiger Wert war, denn er war selbst als Sklave geboren worden. Er definiert Freiheit nicht als Menschenrecht oder politische Forderung, sondern als einen ethischen Wert, den sich jeder Mensch nur selbst erarbeiten kann. Das Buch enthält Epiktets berühmte Schrift „Encheiridion“ (Anleitung zum glücklichen Leben) sowie eine Auswahl seiner Unterredungen. Kommentiert und übersetzt wurde das Werk von A. A. Long, einem der führenden Experten der Philosophie der Stoa. Epiktet fasst die Freiheit als ein Leben im Einklang mit der Natur auf, als Bestrebung, sich selbst zu besitzen und zu beherrschen, ein Weltbürger zu werden und ausschließlich stets das zu begehren, was man auch sicher bekommen kann. A. A. Long ist emeritierter Professor für Klassische Philologie und Professor für Philosophie an der University of California, Berkeley.

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Eine Kultur lässt sich nicht planen

Terry Eagleton stellt fest: „Wenige Denker dürften den Eindruck vermitteln, der romantischen Volkskultur ferner zu stehen als der so aristokratisch wirkende T. S. Eliot.“ Für ihn bedeutet das Wort „Kultur“ in erster Linie das sozial Unbewusste. Es bezeichnet „die Gesamtform, in der ein Volk lebt – von der Geburt bis zum Grabe, vom Morgen bis in die Nacht und selbst im Schlaf“, doch handelt es sich um eine Lebensweise, deren sich die Menschen nie ganz bewusst sein können. Eine Kultur, fährt T. S. Eliot fort, „kann nie völlig eine Sache des Bewusstseins werden – unser bewusstes Leben erschöpft sich nicht; und sie lässt sich nicht planen, weil sie ja auch der unbewusste Untergrund all unseres Planens ist“. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Reinhard Haller kennt das Wesen der Kränkung

Ob sie es wollen oder nicht, die meisten Menschen schleppen ein ganzes Paket von dem, was man wohl als Kränkung bezeichnet, mit sich herum und werden es gar nicht so leicht wieder los. Reinhard Haller weiß: „Obwohl Bedeutung und Stellenwert von Kränkungen in unserem Leben und ihr destruktives Potential unübersehbar sind, reagieren wir bei diesem Thema wie bei den meisten psychischen Problemen zurückhaltend und verdrängend.“ Fragen nach seelischen Verletzungen erleben viele Menschen als wenig feinfühlig, eher als taktlos, manchmal als nahezu übergriffig. Es ist ihnen peinlich, über ihre Gefühle zu sprechen. Schon gar nicht wollen sie eine Schwäche – als solche empfinden sie Kränkungen – zugeben. So etwas behält man lieber für sich. Reinhard Haller ist Chefarzt einer psychiatrisch-psychotherapeutischen Klinik mit dem Schwerpunkt Abhängigkeitserkrankungen.

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Viele Menschen fürchten den Verlust ihrer Werte

Dass eine Gesellschaft Werte braucht, darüber besteht zu Recht Einigkeit. Toleranz ist beispielsweise ein feiner Wert, aber nicht durch und durch. Pluralismus ist wünschenswert, aber vielleicht nicht immer und in allem. Freiheit ist gut, aber nur gepaart mit sozialer Sicherheit. Das Fremde ist anregend und bereichernd, verunsichert aber trotzdem leicht. Die Angst vor dem Verlust von Werten ist ein großes und wichtiges Thema. Richard David Precht warnt: „Denn aus dieser Sicht ist das krakeelende Unbehagen in der Kultur, das sich AfD nennt, nur eines: ein Vorbeben, dem viele größere Erschütterungen folgen werden.“ Der Islam zum Beispiel kennt den Angriff des global-liberalen Kapitalismus auf seine kulturelle Identität schon seit vielen Jahrzehnten. Der Philosoph, Publizist und Bestsellerautor Richard David Precht zählt zu den profiliertesten Intellektuellen im deutschsprachigen Raum.

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Ein Fundamentalist leidet unter einem geringen Selbstbewusstsein

Fundamentalistische Entwicklungen sind letzten Endes traurige Entwicklungen. Georg Milzner erläutert: „Wie im Fall des Narzissmus, wo ein künstliches Selbst sich in tausend Spiegeln seiner Bedeutung versichert, so liegt auch beim Fundamentalismus eine Bedürfnislage vor, die bei einer gelungenen Selbst-Entwicklung in dieser Form nicht bestünde.“ Diese Bedürfnislage richtet sich auf Dinge, die selbstverständlich sein sollten, es aber in einer Epoche diffundierender Aufmerksamkeit längst nicht mehr sind: Ordnung und Halt. Für gewöhnlich wird der Fundamentalismus ähnlich wie der Narzissmus mit einem geringen Selbstbewusstsein sowie mit dem Wunsch nach persönlicher Aufwertung verknüpft. Diese beiden Elemente sind ohne Zweifel aus individuellen Biografien herauszufiltern. Doch sie genügen keinesfalls, um das Phänomen in seiner Breite zu erklären. Georg Milzner ist Diplompsychologe und arbeitet in eigener Praxis als Psychotherapeut.

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Die Moral ist ursprünglich weder friedlich noch angenehm

Moral ist, was bei der Normativität des Alltags herauskommt: ein mehr oder weniger buntes System von „Werten“, Anforderungen, Zumutungen und Beurteilungen. Thomas Fischer ergänzt: „Moral entspringt, soweit man das beurteilen kann, nicht einer „Seele“ des Menschen, sondern seinem wirklichen Leben.“ Sie spiegelt es wider und ändert sich mit ihm; ist daher auch weder zufällig noch inhaltlich vorbestimmt, wenn man von wenigen Grundstrukturen absieht, welche die gemeinsame Existenz betreffen und daher zumindest außerordentlich nah bei der „Natur“ angesiedelt sind: Fürsorge, Mitleid, Zuneigung, Rache. Aus der Sicht des Strafrechts sind das Bedürfnis und die Fähigkeit zum Motiv der Rache besonders wichtig. Moral ist keineswegs im Ursprung oder ihrer Natur nach konstruktiv, friedlich oder angenehm. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Alle Menschen sind frei und mit gleichen Rechten geboren

Nach Jahrtausenden der religiösen Dogmatik und des Aberglaubens entwickelten mutige Philosophen ein neues Menschenbild. Alle Menschen sind frei und mit gleichen Rechten geboren, alle sind gleich vor dem Gesetz, und die einzigen Kriterien für Wissen sind Fakten und Rationalität. Philipp Blom ergänzt: „Auf dieser Grundlage können Menschen in Frieden miteinander leben und Fortschritt schaffen, der das Leben aller verbessert. Die Erlangung und Verteidigung der Freiheit ist oberstes Ziel von Individuen und Gesellschaften.“ Dieses neue Denken, dass man als „Aufklärung“ bezeichnete, wurde anfangs bekämpft und unterdrückt, konnte sich aber im Laufe von zwei Jahrhunderten durchsetzen. Nach den Philosophen und der Französischen Revolution kamen die Arbeiterbewegung, die Abschaffung der Sklaverei und danach die Dekolonisierung, die Civil-Rights-Aktivisten in den USA, Feministinnen, die Entkriminalisierung der Homosexualität, die Achtung von Minderheiten als Gradmesser der Zivilisiertheit. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Niemand ist der allgemeinen Aufregung hilflos ausgeliefert

Eine der zentralen Thesen in Philipp Hübls neuem Buch „Die aufgeregte Gesellschaft“ lautet: „Emotionen prägen unsere moralische Identität und damit auch unsere politischen Referenzen.“ Außerdem stellt der Autor fest, dass sich der Riss, der sich zwischen Traditionalisten und Kosmopoliten aufgetan hat, immer größer wird. Diese neue Polarisierung betrifft die grundlegende Frage, welche Werte und Normen ein gutes Leben und eine gute Gesellschaft ausmachen. Die Bruchlinien verlaufen zwischen Alt und Jung, Land und Stadt, Auto und Fahrrad, Kaufhaus und Amazon, Tatort und Netflix, Vergangenheit und Zukunft. Philipp Hübls Folgerungen sind überraschend und provokant: Zum Beispiel macht Angst einen Menschen nicht automatisch zum Fremdenfeind. Philipp Hübl ist Philosoph und Autor des Bestsellers „Folge dem weißen Kaninchen … in die Welt der Philosophie“ (2012).

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Der Zufall garantiert kein nachhaltiges Glück

Eines der wirksamsten Mittel gegen Unglück von außen, gegen Verlust, gegen große und kleine Missgeschicke ist die Unterscheidung on inneren und äußeren Werten und die Konzentration der Gedanken auf die inneren Werte. Seneca schreibt: „Den Weisen macht weder das Glück übermütig, noch beugt ihn das Unglück nieder; denn all sein Bestreben war darauf gerichtet, den eigenen Wert nach Kräften zu erhöhen und sich selbst zum Quell aller Freude zu machen.“ Albert Kitzler weiß: „Das Bestreben Senecas und der ganzen Stoa war es, das gelingende Leben, das nachhaltige Glück und Wohlbefinden eines Menschen nicht dem Zufall glücklicher Umstände zu überlassen, sondern auf tragfähige Grundlagen zu stellen, die prinzipiell jeder Mensch aus eigener Kraft herstellen kann.“ Der Philosoph und Jurist Dr. Albert Kitzler ist Gründer und Leiter von „MASS UND MITTE“ – Schule für antike Lebensweisheit.

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Die Geschichte der Philosophie bewegt sich zwischen Extremen

Die Geschichte der Philosophie bewegt sich zwischen Extremen: Am einen Ende der Skala gibt es Meister der Festlegung, die immerzu ihren einen und einzigen Gedanken denken, ihn bestenfalls noch variieren. Andreas Urs Sommer kennt einige von ihnen: „Zu den Meistern der Festlegung gehört Arthur Schopenhauer, auch Baruch de Spinoza.“ Am anderen Ende gibt es die Meister der Verflüssigung, die stets wieder Neues, Ungedachtes aushecken und dem vermutlich fest Gegründeten den Boden entziehen. Zu diesen Meistern der Verflüssigung zählt Andreas Urs Sommer nicht nur Skeptiker wie Sextus Empiricus, Michel de Montaigne oder David Hume, sondern auch den deutschen Philosophen Wilhelm Joseph Schelling. Andreas Urs Sommer lehrt Philosophie an der Universität Freiburg i. B. und leitet die Forschungsstelle Nietzsche-Kommentar der Heidelberger Akademie der Wissenschaften.

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