Für das Strafrecht ist die Wahrheit von größter Bedeutung

Für das Strafen und das Strafrecht ist Wahrheit in verschiedener Hinsicht von Bedeutung: als Wahrheit des Geschehens und als Wahrheit von Verantwortung. Dabei ist vor allem auch wichtig, dass diese Wahrheitserkenntnisse in die Vergangenheit gerichtet sind. Thomas Fischer erklärt: „Strafrecht versucht, vergangenes Geschehen zu rekonstruieren und einer gegenwärtigen Verantwortung zuzuweisen.“ Dabei ist offensichtlich, dass die Wiederherstellung einer unmittelbaren Wirklichkeit eines Geschehensablaufs niemals im Verhältnis eins zu eins möglich ist. Jedes von menschlichem Handel geprägte Geschehen ist ein sehr komplexer Prozess von Bedingungen, Sinn, Motivation, Ursachen, Deutungen, Zwischen- und Endergebnissen. Schon die unmittelbare, zeitgleiche Aufnahme ist nur mit großen Abweichungen und Verständnisrisiken möglich. Die Gehirne von Menschen funktionieren nicht wie standardisierte digitale Maschinen, die miteinander über ein eindeutiges „Programm“ verbunden werden könnten. Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Der Romantiker sucht die religiöse Wahrheit in der Natur

Ironischerweise fällt die neue Empfindsamkeit für die wüste Natur in der Epoche der Romantik zeitlich mit der besseren Zugänglichkeit der Natur zusammen. Ger Groot erläutert: „Denn gerade in den unwirtlichen Alpen wird die Infrastruktur ausgebaut. Und auch die Entwicklungen in der Klettertechnik machen Fortschritte. Durch das Gebirge werden trittfeste Wege angelegt, wodurch so etwas wie „Tourismus“ möglich wird.“ Und im Jahr 1786 kommt es zur Erstbesteigung des Mont-Blanc-Gipfels. Dieses Jahr markiert den Beginn des alpinen Bergsports. Ihn prägt eine Mischung aus technischem Können und einem tief empfundenen Respekt vor den Wundern der Natur. Diese konnten dank der neuen technischen Möglichkeiten zum Objekt einer „sublimen“ Erfahrung werden. Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Die Vernunft ist nicht die Instanz der Wahrheit

Friedrich Nietzsches Zweifel an der Zuträglichkeit der Vernunft war nie stark genug, um ihn selbst auf deren Gebrauch verzichten zu lassen. In der Logik seiner Argumente und im Scharfsinn seiner Kritik tritt dies für Volker Gerhardt eindrucksvoll hervor. Gewiss, die Vernunft ist nicht die Instanz der Wahrheit, wohl aber das Organ, um Wahrheitsansprüche zu erheben und zu prüfen. Die Vernunft bedarf des Körpers, um sich zu sammeln, sich auszudrücken und sich bestimmen zu können. Die Vernunft des Leibes erscheint Friedrich Nietzsche so vollkommen, dass er von der „großen Vernunft“ des Leibes spricht. Diese grenzt er von der deutlich abgewerteten „kleinen Vernunft“ des Bewusstseins ab. Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Die Kommunikation im Strafrecht besteht aus vier Ebenen

Kommunikation im weiten Sinn ist ein zentraler Faktor des Strafens und des Strafrechts. Sie hat insoweit vier unterschiedliche Ebenen: Erstens eine Ebene der „empathischen“ Entstehung von normativen Ordnungen der Sanktionierung. Zweitens eine Ebene der Entstehung und der Organisation von vorstaatlicher Macht und Monopolisierung der Gewalt. Drittens eine Ebene der gesellschaftlichen Vermittlung von „Sinn“. Viertens eine Ebene der technischen und symbolischen „Abwicklung“ von Strafrecht. Thomas Fischer geht näher auf die dritte Ebene ein und weist darauf hin, dass damit zunächst ganz banale Dinge gemeint sind: „Das Sanktionieren abweichenden Verhaltens ist zwar Bestandteil jedes gesellschaftlichen Lebens. Es ist aber, jedenfalls jenseits sehr kleiner früherer Gemeinschaften, nicht allgegenwärtig und unmittelbar spürbar.“ Thomas Fischer war bis 2017 Vorsitzender des Zweiten Senats des Bundesgerichtshofs in Karlsruhe.

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Die Wahrheit befindet sich in einer tiefen Krise

Es ist schwer und oft prinzipiell unmöglich, unter der herrschenden Flut von Informationen zu entscheiden, was denn nun stimmt und was nicht. Bernhard Pörksen schreibt: „In der Situation einer allgemeinen Verunsicherung wuchert der Verdacht, regiert der Zweifel und dominiert das Geraune. Es suggeriert den Durchblick, aber offenbart eigentlich doch nur Verwirrung und Verstörung.“ Zudem kommuniziert der vernetzte Mensch unter den gegenwertigen Medienbedingungen konstant mit „Entitäten“. Deren Absichten und Interessen, deren Integrität oder Status – Mensch oder Maschine, neutraler Beobachter oder Propagandist – lassen sich nicht sicher einschätzen. Daher stellt sich die Frage, was überhaupt als echte, wahrheitsgetreue und authentische Kommunikation betrachtet werden kann – und was eben nicht. Die digitale Öffentlichkeit stellt den vernetzten Menschen also vor das Problem, die zahlreich verbreiteten Falsch- und Fehlinformationen überhaupt zu erkennen. Bernhard Pörksen ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.

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Die Weisheiten großer Denker steigern die Freude am Dasein

Das neue Buch von Albert Kitzler „Weisheit to go“ enthält ausgewählte Zitate aus dem antiken Weisheitswissen in Orient und Okzident. Der Autor hält die überlieferten Weisheitserfahrungen der Völker der Welt, wie sie von den großen Denkern, Weisen und Heiligen in Worte gefasst wurden, für das vielleicht wertvollste kulturelle Erbe, das die Menschheit besitzt. Sie zeigen den Menschen, wie ein gutes Leben gelingen kann. „Weisheit to go“ verknüpft die zeitlosen Wahrheiten von Seneca, Buddha, Konfuzius und anderen großen Denkern mit dem Alltag von heute. Dieser it oftmals von Unruhe und Oberflächlichkeit geprägt. Das verändert den Blick auf die kleinen und großen Fragen des Lebens und hilft inmitten von Hektik und Zeitdruck, die eigene Mitte zu wahren. Dr. Albert Kitzler ist ein deutscher Philosoph, Rechtsanwalt und Filmproduzent.

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Die Philosophie befreit aus der Enge der Gedankenwelt

Menschen denken unterschiedlich. Das scheint unmittelbar einleuchtend und klingt nach einer Selbstverständlichkeit, dennoch vergessen dies viele immer wieder. Man glaubt, dass alle irgendwie ähnlich ticken als man selbst. Ludger Pfeil erklärt: „Enttäuschungen sind da nicht nur zwischen Fremden vorprogrammiert; auch im Gespräch mit Freunden und Partnern fühlen wir uns manchmal unverstanden.“ Die Philosophie bietet wie sonst höchstens die Literatur die Chance, andere Sichten auf die Welt kennenzulernen und einen Menschen aus der Beschränkung der mehr oder weniger engen eigenen Gedankenwelt und der eingefahrenen Argumentationsgleise mindestens zeitweise zu befreien. Einführende Schriften zur Philosophie orientieren sich im Allgmeinen historisch am Lauf der Geschichte oder an den Teildisziplinen der Philosophie. Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.

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Michael Wolffsohn fordert den Mut zum Denken

Das neue Buch „Tacheles“ von Michael Wolffsohn ist nichts für Fachidioten oder eindimensionale Menschen. Der Autor redet nicht gern um den „heißen Brei“ herum. Sein Credo lautet: Erst denken, dadurch erkennen. Dann das Gedachte benennen und sich auch dazu bekennen. Somit Tacheles reden und schreiben. Auch wenn es nicht allen gefällt. Michael Wolffsohn fordert Mut zum Denken und Mut zum Aussprechen. Nicht taktisch denken, sondern faktisch lautet seine Devise. Er steht der Wahrheit unerbittlich zur Seite und räumt mit Klischees, Legenden und Lebenslügen in den politischen und historischen Debatten auf. Michael Wolffsohn kritisiert pointiert den aktuellen Antisemitismus in Deutschland. Prof. Dr. Michael Wolffsohn war von 1981 bis 2012 Professor für Neuere Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München.

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Die Kultur kann von einer störrischen Unnachgiebigkeit sein

In Reaktion auf eine soziale Ordnung, in der Kultur wahrhaftig allumfassend erschien, begannen einige postmoderne Theoretiker in den 1980er Jahren, die Lehre des Kulturalismus zu verbreiten, wonach der Mensch seiner gesamten Existenz nach Kultur sei. Terry Eagleton ergänzt: „Jede Erwähnung der Kultur wurde zutiefst suspekt, paradoxerweise ausgerechnet zu jenem Zeitpunkt, als die Umweltbewegung auf der Bildfläche erschien.“ Wann immer in einem postmodernen Text das Wort „Natur“ auftaucht, ist es in der Regel von verschämten Anführungszeichen umrahmt. Menschen gelten nicht mehr als natürliche, materielle Tiere mit Bedürfnissen und Fähigkeiten, die ihnen als Art gemeinsam sind, sondern sie werden durch und durch zu kulturellen Geschöpfen. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Mit der Wahrheit kamen der Irrtum und die Lüge in die Welt

Für Friedrich Nietzsche hat die „tragische Existenz“ des Menschen ihren Grund im menschlichen Glauben an die Wahrheit. Diese verband er mit der Leistung des Erkennens. Die „schrecklichste Minute der Weltgeschichte“ so meinte er, sein jene, „in der die Menschen das Erkennen erfanden“. Erst mit dem Erkennen komme die Wahrheit in die Welt – und mit ihr der Irrtum und die Lüge. Für Friedrich Nietzsche stand deshalb außer Zweifel, dass diese „klugen Tiere“, die das Erkennen „erfanden“ und sich bis heute „Menschen“ nennen, gar kein anderes Schicksal haben können, als „bald zu sterben“. Volker Gerhardt hält dagegen: „Das wahrhaft Tragische ist nur, dass wir diesen Glauben an die Wahrheit, trotz der Kritik Friedrich Nietzsches, gar nicht aufgeben können.“ Volker Gerhardt war bis zu seiner Emeritierung 2014 Professor für Philosophie an der Humboldt-Universität in Berlin.

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Für viele Menschen ist nur die eigene Religion die einzig wahre

Wenn man akzeptiert, dass eine Religion etwas Besonderes ist, das nicht unbedingt eines besonderen Schutzes bedarf, aber sowohl zur Freiheit als auch zur Rede in einer besonderen Beziehung steht, muss man entscheiden, was als eine Religion gilt. Timothy Garton Ash erläutert: „Für viele Menschen in der ganzen Menschheitsgeschichte und nicht wenige in unserer Zeit gab und gibt es nur eine wahre Religion: die eigene. Alles andere ist und wahr Ketzerei oder Aberglaube.“ Doch es gibt auch begrenzte gegenseitige Anerkennung, etwa zwischen Christentum, Judentum und Islam. Nach einem eher pragmatischen und säkularen Verständnis von Religion werden alle Gemeinschaften mit einer erheblichen Zahl von Anhängern, die sich als religiöse Gruppe oder in Bezug auf eine Religion definieren, als Religion anerkannt. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Pythagoras sucht das Konstruktionsprinzip der Welt

Schon mit der ionischen Naturphilosophie, die ihre Anfänge im Milet des 7. Jahrhunderts vor Christus hat, traten Gesetzmäßigkeiten neben Götter und Dämonen. Bernd Roeck nennt ein Beispiel: „Thales von Milet soll ein Erdbeben als Folge der Bewegung des Meeres – und eben nicht als Ausdruck von Poseidons Zorn – gedeutet haben.“ Anaximander von Milet (um 625 – 547 v.Chr.), Konstrukteur einer ersten Sonnenuhr, suchte nach einem „Urstoff“, aus dem alles kommen sollte. Das Universum wird bei ihm zu einem ungeheuren Organismus, der lebt, vergeht und wiederentsteht. Anaximander war der erste Mensch, der sich den Kosmos als ewig, mithin ungeschaffen vorstellte. Bernd Roeck ist seit 1999 Professor für Neuere Geschichte an der Universität Zürich und einer der besten Kenner der europäischen Renaissance.

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Denken hat immer etwas mit Gefühlen zu tun

Dank ihrer Sinnlichkeit sind die Menschen in jedem Augenblick ihres bewussten Lebens – auch im Traum – auf Tuchfühlung mit dem Wirklichen. Markus Gabriel stellt fest: „Unsere Empfindungen, unser Kontakt mit dem, was es wirklich gibt, konfrontiert uns zum Glück nicht nur mit dem Widerstand und der Widerwärtigkeit des Lebens.“ Der Mensch ist so sehr ein soziales Lebewesen, dass Mitglieder seiner Spezies in den ersten Monaten und Jahren überhaupt nur überleben, wenn sie Liebe als den Umstand erfahren, dass andere geistige Lebewesen sich ihnen schützend zuwenden. Darüber hinaus vertritt die Tiefenpsychologie die These, dass jeder Mensch eine Einstellung zu sich selbst als denkendes Lebewesen hat. Seit 2009 hat Markus Gabriel den Lehrstuhl für Erkenntnistheorie und Philosophie der Neuzeit an der Universität Bonn inne und ist dort Direktor des Internationalen Zentrums für Philosophie.

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Der Philosoph ist ein Abenteurer des Geistes

Indem die Weisheit den Einzelnen auffordert, sich selbst und die Welt kennenzulernen, sein Wissen und seine Vernunft zu entwickeln, innerlich frei zu werden und sich gemäß seiner Natur zu entfalten, ist die Weisheit zutiefst subversiv. Frédéric Lenoir erläutert: „Denn sie stellt sich den religiösen und politischen Mächten entgegen, die gemeinsam daran arbeiten, den Zusammenhalt und die Stabilität der sozialen Gruppe bisweilen sogar mit Gewalt aufrechtzuerhalten.“ Wenn der Einzelne beginnt, sich mit seinem Seelenheil oder persönlichen Glück zu beschäftigen, wenn er seine Vernunft und Fähigkeit zur Erkenntnis entwickelt, läuft er Gefahr, den kollektiven Normen nicht mehr zuzustimmen. Ein Blick zurück in die Vergangenheit zeigt, dass die Suche nach Weisheit einst das wichtigste Ziel der Philosophie war, als sie im ersten Jahrtausend v. Chr. in Griechenland entstand. Frédéric Lenoir ist Philosoph, Religionswissenschaftler, Soziologe und Schriftsteller.

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Otfried Höffe kennt die sechs Stufen der Freiheit

Um sich den Bedeutungsraum der personalen Freiheit zu vergegenwärtigen, kann man sechs Bedeutungen unterscheiden, die, weil sie aufeinander aufbauen, Stufen der Freiheit heißen mögen. Otfried Höffe erläutert: „Weil die ersten drei für den Menschen nicht spezifisch sind, liegt schlichte Freiheit, noch keine personale Freiheit vor. Ihr gegenüber handelt es sich um Vorstufen. Erst bei den nächsten drei Stufen, den Hauptstufen geht es um die personale Freiheit selbst.“ Man mag sich fragen, warum die Überlegungen so weit ausholen. Drei Gründe sprechen für den Beginn bei den Vorstufen. Zum einen vermeidet man eine voreilige Anthropozentrik, denn selbst der Ausdruck, der den Menschen aus der Natur herauszuheben scheint, die Freiheit, bleibt für die naturale Seite des Menschen offen. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Autorität funktioniert durch freiwillige Unterwerfung

Die Suche nach dem Ursprung von Autorität führt laut Paul Verhaeghe zu keiner überzeugenden Antwort. Sämtliche Versuche laufen ins Leere und haben sogar den entgegengesetzten Effekt. Am erhellendsten beschreibt dies Hannah Arendt. Autorität beruht ihrer Meinung nach auf einer externen und höheren Instanz, von der man die Befehlsgewalt beziehen kann, die sie einem jedoch auch wieder entziehen kann. Das „Höhere“ bewirkt, dass Autorität nach einer Pyramidenstruktur funktioniert. Wer am oberen Ende der Pyramide steht, ist dem Allerhöchsten am Nächsten und besitzt daher die meiste Befehlsgewalt. Die Autorität nimmt ab, je weiter man in der Pyramide nach unten geht. Zudem sind die verschiedenen Ebenen eng integriert und miteinander verbunden. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

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Der Westen muss seine eigenen Prinzipien formulieren

Die Praxis des westlichen Universalismus war den größten Teil seiner Geschichte alles andere als universell. Er schloss viele Menschen im eigenen Land und fast alle Menschen im Ausland aus. Die Frauen und die Mitglieder der „niedrigeren“ Gesellschaftsschichten wurden als Menschen zweiter Klasse behandelt. Thomas Jefferson, einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika, hielt sogar Sklaven. Timothy Garton Ash ergänzt: „Ab etwa 1500 manifestierte sich der westliche Universalismus für den größten Teil der Welt als Kolonialismus.“ Für einige hat sich diese Geschichte des westlichen Universalismus, der sich als Imperialismus manifestiert, bis in die heutige Zeit fortgesetzt. Timothy Garton Ash ist Professor für Europäische Studien an der Universität Oxford und Senior Fellow an der Hoover Institution der Stanford University.

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Das eigenständige Denken ist der Ursprung der Kultur der Rationalität

Das, was die europäische Kultur am nachhaltigsten von allen anderen Weltkulturen unterscheidet, ist der hohe Wert, den sie von ihren frühen Anfängen in der griechischen Antike auf das eigenständige Denken legte. Silvio Vietta erläutert: „Das eigenständige Denken ist eines der höchsten Werte der abendländischen Kulturgeschichte und zugleich Ursprung und Grund einer ganzen Kultur des Abendlandes: der Kultur der Rationalität.“ Die Aufforderung zum eigenständigen Denken findet sich bereits formuliert in dem Gebot „Erkenne dich selbst“, das über dem Eingang des Apollotempels in Delphi eingemeißelt war und dem Weltweisen Chilon von Sparta zugeschrieben wird. Der Spruch, der den Menschen auch an seine Endlichkeit und Sterblichkeit mahnen soll, bekundet den Anfang des philosophischen Denkens im frühen Griechenland bei den vorsokratischen Philosophen. Prof. em. Dr. Silvio Vietta hat an der Universität Hildesheim deutsche und europäische Literatur- und Kulturgeschichte gelehrt.

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Die Aufklärung war von unerschrockenen Freigeistern gekennzeichnet

Das 18. Jahrhundert entwickelte sich zur Epoche der großen „Entlarvung“: der Demaskierung aller – oder jedenfalls sehr vieler – Werte und Wahrheiten, die bis dahin als unantastbar gegolten hatten. Die Aufklärung sollte in Amerika und in Frankreich zu zwei politischen Revolutionen Anstoß geben, die in der Frage legitimer Machtausübung eine nachhaltige Veränderung herbeiführen würden. Zunächst war sie jedoch von einem nüchternen und respektlosen Blick auf alles gekennzeichnet, was unlängst noch Ehrfurcht gebietend erschien. Ger Groot erläutert: „Ein unerschrockener Freigeist hielt Einzug, der sogar vor den Entlarvung der Moral als ein fadenscheiniges Deckmäntelchen, das dazu diente, die egoistischen Motive zu verbergen, nicht zurückschreckte.“ Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Die Wissenschaft ist die größte Errungenschaft der Menschheit

Bereits im Alter von 24 Jahren schrieb Alfred Jules Ayer (1910 – 1989) ein Buch, in dem er erklärte, dass der Großteil der Geschichte der Philosophie leeres Geschwafel oder gar kompletter Unsinn sei. Das 1936 veröffentlichte Werk trug den Titel „Sprache, Wahrheit und Logik“. Das Buch wurde zu einer wichtigen Streitschrift für eine neue philosophische Richtung, die man als logischen Positivismus oder logischen Empirismus bezeichnete. Nigel Warburton erklärt: „Für die logischen Empiristen ist die Wissenschaft die größten Errungenschaft der Menschheit.“ „Metaphysik“ ist ein Begriff, der verwendet wird, um diejenige Realität zu bezeichnen, die jenseits der sinnlich erfahrbaren physischen Welt lieg. Dass es eine solche Realität gab, stand für Philosophen wie Immanuel Kant, Arthur Schopenhauer und Georg Wilhelm Friedrich Hegel fest. Der Philosoph Nigel Warburton ist Dozent an der Open University. Er gibt außerdem Kurse über Kunst und Philosophie am Tate Modern Museum.“

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Die Menschen sind nicht zu ewiger Skepsis verurteilt

An die Möglichkeit einer unerschütterlichen, absoluten Gewissheit begann manch ein Philosoph und Wissenschaftler im 16. und zu Beginn des 17. Jahrhunderts immer stärker zu zweifeln. Ger Groot fügt hinzu: „Darin zeichnete sich schon die Krise ab, die die Moderne dauerhaft kennzeichnen sollte. Das Band zu einem „absolutum“, das sich als weniger verlässlich erwies als angenommen, wurde durchschnitten.“ Aber was trat an seine Stelle? Sind die Menschen dazu verurteilt, fortwährend in Skepsis und Unsicherheit umherzuirren? Eine andere Frage lautete: „Lässt sich denn noch ein absoluter Punkt finden, in dem unser Leben verankert werden kann und sich unsere Erkenntnis ihrer selbst versichern kann?“ Ger Groot lehrt Kulturphilosophie und philosophische Anthropologie an der Erasmus-Universität Rotterdam und ist Professor für Philosophie und Literatur an der Radboud Universität Nijmegen.

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Eigenständiges Denken ging Søren Kierkegaard über alles

Individualität muss nicht Isolation bedeuten, aber sie kann – freiwillig oder unfreiwillig – leicht dazu führen. Søren Kierkegaard (1813 – 1855) hatte sich in seinen Tagebüchern die beiden Worte „Jener Einzelne“ als Grabinschrift gewünscht, um zu betonen, dass er der Erkenntnis treu geblieben war, dass nur die individuelle Stellungnahme dem Leben einen Sinn zu geben vermag. Man trifft hier auf den Kern eines Denkers, der in gegensätzliche Weltanschauungen glaubhaft hineinzuschlüpfen vermochte. Ludger Pfeil ergänzt: „Dieser „Einzelne“ war durchaus kein Einzelgänger, denn bei seinem täglichen Flanieren durch die Straßen Kopenhagens traf er auf Zufallsbegegnungen aus allen Ständen, mit denen er gerne untergehakt ein Stück des Weges gemeinsam plaudernd und philosophierend zurücklegte.“ Der Philosoph Dr. Ludger Pfeil machte nach seinem Studium Karriere in der Wirtschaft als Projektleiter und Führungskraft und ist als Managementberater tätig.

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Meistens haben Menschen keinen Zugang zu ihrem Denken

Normalerweise haben Menschen das Gefühl, dass sie über die Vorgänge in ihrem Kopf recht gut Bescheid wissen – worüber sie gerade nachdenken und welche Denkprozesse gerade ablaufen. Aber diese Überzeugung ist laut Richard E. Nisbett meilenweit von der Wirklichkeit entfernt. Denn ein immenser Teil der Einflüsse auf die Urteile eines Menschen und sein Verhalten wirkt im Verborgenen. Reize, die man bewusst kaum wahrnimmt – falls man ihnen überhaupt Beachtung schenkt –, können sich auf das, was man tut, gravierend auswirken. Richard E. Nisbett ergänzt: „Viele der Reize, die wir bemerken, haben Konsequenzen, die über das, was uns plausibel erscheint, weit hinausgehen.“ Ein Mensch weiß zum Beispiel nicht, dass er langsamer geht, wenn er an alte Leute denkt. Richard E. Nisbett ist Professor für Psychologie an der University of Michigan.

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Eine Kultur lässt sich nicht planen

Terry Eagleton stellt fest: „Wenige Denker dürften den Eindruck vermitteln, der romantischen Volkskultur ferner zu stehen als der so aristokratisch wirkende T. S. Eliot.“ Für ihn bedeutet das Wort „Kultur“ in erster Linie das sozial Unbewusste. Es bezeichnet „die Gesamtform, in der ein Volk lebt – von der Geburt bis zum Grabe, vom Morgen bis in die Nacht und selbst im Schlaf“, doch handelt es sich um eine Lebensweise, deren sich die Menschen nie ganz bewusst sein können. Eine Kultur, fährt T. S. Eliot fort, „kann nie völlig eine Sache des Bewusstseins werden – unser bewusstes Leben erschöpft sich nicht; und sie lässt sich nicht planen, weil sie ja auch der unbewusste Untergrund all unseres Planens ist“. Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Die ersten Schritte zur Bildung sind sehr schwer

Sokrates lässt keinen Zweifel daran, dass die ersten Bildungsschritte schwer und mühsam sind: Wer die virtuellen Schattenkonsumenten dazu bringen will, ihre liebgewonnenen Denkgewohnheiten und trivialen Beschäftigungen als Illusionen zu entlarven, mittels derer sie sich unterhalten, dabei aber jedem wahren Leben fernhalten, muss mit heftigem Widerstand rechnen. Christoph Quarch schreibt: „Das hatte Sokrates schmerzvoll erfahren. Denn in vielen von Platons frühen Dialogen erleben wir ihn genau in der Funktion, die er im Höhlengleichnis beschreibt: Er versucht denen, die in Meinungen, Konventionen, Denkmustern und Glaubenssätzen erstarrt sind, die geistigen Fesseln abzunehmen und ihnen klar zu machen, dass sie ihre Sicht der Dinge fälschlich für die ganze Wahrheit halten.“ Der Philosoph, Theologe und Religionswissenschaftler Christoph Quarch arbeitet freiberuflich als Autor, Vortragender und Berater.

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