Otfried Höffe kennt die sechs Stufen der Freiheit

Um sich den Bedeutungsraum der personalen Freiheit zu vergegenwärtigen, kann man sechs Bedeutungen unterscheiden, die, weil sie aufeinander aufbauen, Stufen der Freiheit heißen mögen. Otfried Höffe erläutert: „Weil die ersten drei für den Menschen nicht spezifisch sind, liegt schlichte Freiheit, noch keine personale Freiheit vor. Ihr gegenüber handelt es sich um Vorstufen. Erst bei den nächsten drei Stufen, den Hauptstufen geht es um die personale Freiheit selbst.“ Man mag sich fragen, warum die Überlegungen so weit ausholen. Drei Gründe sprechen für den Beginn bei den Vorstufen. Zum einen vermeidet man eine voreilige Anthropozentrik, denn selbst der Ausdruck, der den Menschen aus der Natur herauszuheben scheint, die Freiheit, bleibt für die naturale Seite des Menschen offen. Otfried Höffe ist Professor für Philosophie und lehrte in Fribourg, Zürich und Tübingen, wo er die Forschungsstelle Politische Philosophie leitet.

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Wirtschaft und Ethik lassen sich nicht trennen

Der wichtigste und essenzielle Kontext allen menschlichen Wirtschaftens sind der Planet Erde und seine Ökosysteme. Christian Felber kritisiert: „Die Trennung von Ökonomie und Ökologie ist eine der gröbsten Sündenfälle der Wirtschaftswissenschaft.“ Denn alle in Geld messbaren „ökonomischen“ Werte stammen letztlich aus der Natur. Wird dies übersehen oder negiert, kann es passieren, dass die unvollständig verstandene „Wirtschaft“, die eigentlich – ganzheitliche – Werte schaffen sollte, die ökologischen Lebensgrundlagen zerstört. Das größte globale Umweltproblem der Gegenwart ist, noch vor dem Klimawandel, der Verlust von Artenvielfalt. Während die Ökonomen mit ihren Standardmodellen der Menschheit vorrechnen, dass sie reicher wird, verarmt sie in den wesentlichsten aller Aspekte von Reichtum: in der biologischen und genetischen Vielfalt. Christian Felber lebt als Autor in Wien.

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Resiliente Menschen können Krisen gut überstehen

Die sogenannte Resilienzforschung beschäftigt sich mit der Frage, was Menschen widerstandsfähig gegen Krisen macht. Ulrich Schnabel erläutert: „Der Begriff Resilienz bezeichnet eigentlich in der Materialkunde die Eigenschaft von Werkstoffen, nach starker Verformung wieder die ursprüngliche Gestalt anzunehmen. In der Psychologie werden heute Menschen als resilient bezeichnet, die Krisen gut verarbeiten und ohne Traumata überstehen.“ Üblicherweise werden dabei eine ganze Reihe von Faktoren genannt, welche diese seelische Widerstandskraft fördern: Wer etwa grundsätzlich optimistisch und kontaktfreudig ist, verarbeitet Krisensituationen leichter als depressive Eigenbrötler. Ebenso positiv ist es, eine Familie oder einen engen Freundeskreis um sich zu haben, in einem starken Glauben Halt finden zu können – sei der nun religiös, humanistisch oder politisch – oder in der Musik, Kunst oder Natur Trost zu erfahren, wenn alles andere finster erscheint. Ulrich Schnabel ist seit über 25 Jahren Wissenschaftsredakteur bei der ZEIT.

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Andreas Reckwitz kennt den Nachfolger der Industriegesellschaft

Seit den 1980er Jahren transformiert sich die westliche Wirtschaft von einer Ökonomie der standardisierten Massengüter zu einem Wirtschaftssystem der Singularitäten. Andreas Reckwitz erläutert: „Diese Singularisierung bedeutet zugleich eine Kulturalisierung der Ökonomie, in deren Zentrum sich der Strukturwandel von den funktionalen Gütern zu jenen Gütern befindet, denen die Konsumenten primär einen kulturellen Wert und kulturelle Qualitäten zuschreiben.“ Die creative economy wird damit zur treibenden Kraft. Die Singularisierung und Kulturalisierung der Güter geht Hand in Hand mit jener der Märkte, der Arbeitsformen und des Konsums. Die Strukturmerkmale der Industrieökonomie und industriellen Moderne insgesamt, welche die westlichen Gesellschaften vom Ende des 19. Jahrhunderts bi sin die 1970er Jahre hinein fast ein ganzes Jahrhundert lang prägten, werden damit abgelöst von jenen einer genuin postindustriellen Ökonomie. Andreas Reckwitz ist Professor für Kultursoziologie an der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt / Oder.

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Ohne Wohlstand funktioniert keine Demokratie

Der deutsch-amerikanische Politikwissenschaftler Yascha Mounk sieht einen klaren Zusammenhang zwischen der Existenz von liberalen Demokratien und Wohlstand oder, genauer gesagt, steigendem Wohlstand. Philipp Blom ergänzt: „Tatsächlich gründen funktionierende Demokratien auf weit aufgefächerten Strukturen, auf Parlamenten, Gerichten, Schulen, Universitäten, Infrastruktur, Landesverteidigung.“ Ohne Wohlstand kann nichts von alledem gewährleistet werden. Gerade der strukturelle Zusammenbruch der westeuropäischen und US-amerikanischen Parteienlandschaft und die dort weit verbreitete Verbitterung zeigen, dass Wohlstand augenscheinlich nicht ausreicht. Denn trotz der immer weiter aufklaffenden Einkommensschere und der manifesten wirtschaftlichen Ungerechtigkeiten sind die Gesellschaften der reichen Welt heute wohlhabender als je zuvor in ihrer Geschichte. Ein typischer amerikanischer oder europäischer Haushalt ist heute fünfmal so reich wie nach dem Zweiten Weltkrieg. Philipp Blom studierte Philosophie, Geschichte und Judaistik in Wien und Oxford und lebt als Schriftsteller und Historiker in Wien.

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Der Kapitalismus schafft Reichtum und Elend

Eine Schilderung des Zustandes, in den die Welt durch den dynamisierten und globalisierten Kapitalismus des letzten Jahrhunderts geraten ist, formuliert Konrad Paul Liessmann wie folgt: „Der globalisierte Kapitalismus produziert Wunderwerke aller Arten, gleichzeitig aber Verarmung und unvorstellbares Elend für diejenigen, die in den Industriezonen Ostasiens und anderer Weltteile diese Wunderwerke schaffen.“ Der globale Kapitalismus schafft ungeheuren Reichtum für wenige und bisher kaum bekannten Wohlstand für einige privilegierte Regionen der Erde, er verschärft aber auch in ebenfalls ungeahnter Weise den globalen und lokalen Gegensatz zwischen Arm und Reich. Der globalisierte Kapitalismus schafft atemberaubende Schönheit in kühner Architektur, er führt aber auch zu einer zunehmenden Verhässlichung und Verödung. Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann ist Professor für Methoden der Vermittlung von Philosophie und Ethik an der Universität Wien und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicum Lech.

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Das Freiheitsstreben der Menschen ist die mächtigste Kraft in der Geschichte

Das Thema der Ausgabe 03/2018 des philosophischen Wirtschaftsmagazins agora42 lautet „Befreiung“. Befreiung ist ein schönes Wort schreibt Chefredakteur Frank Augustin. Doch wer realistisch ist, für den bedeutet es zunächst Entzug; den Entzug von der Normalität. Gegliedert ist das Heft in drei Teile. Im ersten Abschnitt werden Begriffe, Theorien und Phänomene vorgestellt, die für das gesellschaftliche Selbstverständnis grundlegend sind. Da geht es zum Beispiel um das Pathos der Freiheit oder um die Befreiung vom destruktiven Wachstum. Im Porträt stellt Katalin Bolyhos den französischen Existenzialisten Jean-Paul Sartre vor. Der zweite Teil enthält ein Interview mit Johannes Galli, der Scheitern als Befreiung begreift. Im dritten Teil des Magazins brechen die Autoren zu neuen Ufern auf. Sie stellen sich die Frage, wie sich eine andere gesellschaftliche Wirklichkeit denken lässt und wie sich konkrete Veränderungen herbeiführen lassen.

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Offenheit zählt zu den fünf Eigenschaften der Weisheit

Es gibt eine Reihe von Eigenschaften, die mit Weisheit zusammenhängen. Eine davon ist die Offenheit für Erfahrungen. Jeffrey Webster hat postuliert, dass Offenheit eine von fünf Eigenschaften ist, die alle zusammen Weisheit ausmachen. Judith Glück erklärt: „Auch mein Forschungsteam und ich glauben, dass Offenheit eine Kerneigenschaft weiser Menschen ist, aber wir sehen sie vor allem als eine Entwicklungsressource für Weisheit, d.h. sie zeigt sich schon, bevor jemand ein hohes Maß an Weisheit aufgebaut hat.“ Offenere Menschen begeben sich öfters in weisheitsfördernde Situationen wie beispielsweise Auslandsaufenthalte, sie sind in schwierigen Situationen weniger darauf aus, recht zu haben und zu behalten, und sie können in der rückblickenden Auseinandersetzung mit solchen Erfahrungen mehr aus ihnen lernen. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Ohne Schönheit wäre die Welt viel ärmer

Was ist eigentlich Schönheit? Warum finden Menschen das Schöne schön? Wieso existiert trotz aller Beteuerungen innerer Werte das ewige Diktat äußerlicher Attraktivität? Matthias Horx weiß, dass die Evolutionsbiologen eine Antwort auf solche Fragen haben: „Was wir „schön“ finden, ist in Wirklichkeit eine Chiffre für evolutionäre Fitness und damit für die Zukunftschancen unserer Gene. Wir fühlen uns deshalb zur Schönheit hingezogen, weil uns die Evolution dazu treibt.“ Schöne Gesichter sind zunächst einmal ebenmäßig, symmetrisch, und das bedeutet, dass sich die steuernden Gene ohne schwere Beeinträchtigungen entfalten konnten. Die Natur bringt unter optimalen Wachstumsbedingungen Symmetrie hervor, die als reproduktives Gütesiegel fungiert. Schöne Körper sind nicht nur synonym mit Gebärfähigkeit, in ihnen drückt sich der Zustand des Immunsystems aus sowie die Fähigkeit, zu kämpfen und zu verteidigen. Matthias Horx ist der profilierteste Zukunftsdenker im deutschsprachigen Raum.

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Die Marktwirtschaft führt nicht automatisch zur Demokratie

Wahr ist, dass es Kapitalismus in Reinform nirgends gibt – und es wahrscheinlich nie gegeben hat. Spätestens seit dem Zweiten Weltkrieg ist er Teil eines größeren Deals geworden, der da lautet: Der Kapitalismus muss „liefern“, wie es der Soziologe Wolfgang Streeck genannt hat. Und zwar: Vollbeschäftigung, soziale Sicherheit, wachsenden Wohlstand, mehr Freiheit, Aufstiegschancen für jeden. Auf den Punkt gebracht: Nicht alle profitieren gleich, aber alle profitieren irgendwie. Hans-Werner Sinn, der bekannteste Ökonom der Deutschen, sagt: „Die Suche nach einem völlig anderen Wirtschaftssystem ist Kokolores. Aber daraus folgt nicht, dass ich den Status quo verteidigen möchte.“ Er sieht, dass Finanzkapitalismus völlig außer Kontrolle geraten ist. Hans-Werner Sinn hält es für reines Wunschdenken, dass eine Marktwirtschaft automatisch zur Demokratie führt. Und auch ein Hans-Werner Sinn zweifelt daran, dass Wirtschaftswachstum die Menschen wirklich glücklicher macht.

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Viele Deutsche fürchten sich vor dem sozialen Abstieg

Der Ruf nach dem starken Staat zeigt immer die Annahme einer schwachen Gesellschaft an – wenn Schwäche im Verhängniszusammenhang von Orientierungsverlust und Angst vor dem persönlichen Abstieg besteht. Christian Schüle erläutert: „Individuelle Verlustangst ist die treibende Kraft hinter der Ablehnung jener Mächte, die man dafür verantwortlich macht: Globalisierung, Kapitalismus, Migration. Sie alle, so lässt sich solches Denken personalisieren, nehmen mir auf meiner Scholle in meiner Heimat das mir Zustehende ab.“ Großherzigkeit, Humanitarismus, Toleranz und Solidarität, heißt das im Umkehrschluss, muss man sich leisten können. Und sie sind nur dann möglich, wenn das eigene Ich stabil im Leben steht, getragen von einem formidablen Bruttoinlandsprodukt mit relativer Perspektive von stabilen Wohlstand, Wachstum, Steigerung und Verbesserung, wenn man sich in relativer Ruhe nach oben orientieren kann. Seit dem Sommersemester 2015 lehrt Christian Schüle Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.

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Der Mensch sollte immer offen für neue Perspektiven sein

Reifungsorientierte Persönlichkeitstheorien wie die die Theorie der Ich-Entwicklung von Jane Loevinger befassen sich mit den Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Veränderungsprozessen im Erwachsenenalter. Jane Loevinger stellte fest, dass manche Menschen ihre eigenen Positionen im Laufe des Lebens immer mehr hinterfragen. Judith Glück erläutert: „Während man im jungen Erwachsenenalter seiner selbst und des eigenen Rechthabens oft sehr sicher ist, wird man später immer öfter mit Widersprüchen und Paradoxien konfrontiert und beginnt an der Allgemeingültigkeit der eigenen Sichtweisen zu zweifeln.“ Mit zunehmenden Alter erkennt man solche Widersprüche auch im eigenen Ich und lernt, sie immer besser zu akzeptieren und zu integrieren. Damit wird auch die wertende Haltung gegenüber anderen Menschen zunehmend aufgegeben. Judith Glück ist seit 2007 Professorin für Entwicklungspsychologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

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Ungleichheit wird immer weiter vererbt

Viele Funktionäre, die in der Wirtschaft tätig sind und zahlreiche Ökonomen betonen gern, wie sehr eine Marktwirtschaft der Gegensätze bedarf. Wer wenig verdient, wird durch erfolgreiche Vorbilder angespornt und steigert dadurch das Wirtschaftsprodukt. Wer in einer Villa wohnt, darf daher nicht durch hohe Steuern belastet werden, denn das mindert die Leistungsbereitschaft aller. Aus dieser Sicht ist finanzielle Ungleichheit kein Problem, sondern ein Anreiz. Alexander Hagelüken kritisiert: „Viele Wirtschaftsfunktionäre und Ökonomen gehen aber zu weit, weil sie Ungleichheit gleich zum Mantra erfolgreicher Marktwirtschaften erheben.“ Sie sehen nur die glänzenden Oberflächen, nicht die Ambivalenz der Ungleichheit. Sie konzentrieren sich auf Ungleichheit als Anreiz und vernachlässigen, wie sehr zu große Ungleichheit zum Problem wird. Alexander Hagelüken ist als Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung für Wirtschaftspolitik zuständig.

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Das Wirtschaftswachstum hat sich zu einer Ersatzreligion entwickelt

„Ohne Wachstum keine Arbeitsplätze!“ „Ohne Wachstum keine soziale Sicherheit!“ sind die beiden Mantras der neuen Religion. Diese Einsicht ist mittlerweile so selbstverständlich, dass niemand auch nur wagt, sie anzuzweifeln. Trotz wirtschaftlichem Wachstum werden allerdings immer mehr Arbeitsplätze und soziale Sicherungen abgebaut. Paul Verhaeghe erläutert: „In Westeuropa nimmt die Arbeitslosigkeit weiter zu, genau wie die Versuche beinahe aller Regierungen, die Statistiken in einem deutlich positiverem Licht zu präsentieren. Das erklärt, warum die Medien hin und wieder über die „offizielle Arbeitslosenquote“ berichten, und dann wieder über die „tatsächliche Arbeitslosigkeit“. Laut Robert Gordon, einem amerikanischen Arbeitsmarktexperten, werden in den nächsten zehn Jahren 45 Prozent der Arbeitsplätze in der Mittelschicht aufgrund von Outsourcing und Automation verloren gehen. Paul Verhaeghe lehrt als klinischer Psychologe und Psychoanalytiker an der Universität Gent.

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Als Lebensweise ist Kultur nur eine Frage der Gewohnheit

„Kultur“ ist ein außergewöhnlich komplexes Wort, das vier Hauptbedeutungen beinhaltet: Erstens den Bestand an künstlerischen und geistigen Werken. Zweitens den Prozess geistiger und intellektueller Entwicklung. Drittens die Werte, Sitten, Überzeugungen und symbolische Praktiken, nach denen die Menschen leben. Und viertens eine komplette Lebensweise. Die Kultur eines Volkes kann also Dichtung, Musik und Tanz bezeichnen, aber auch die Lebensmittel, die es isst, die Sportarten, die es betreibt, die Religion, die es praktiziert. Sie kann sogar die Gesellschaft als Ganzes meinen, samt Verkehrsnetz, Wahl- und Müllbeseitigungssystem. Das mag alles typisch für diese Kultur sein, wird aber nicht immer zu ihren Besonderheiten gehören. Terry Eagleton ergänzt: „Kultur in der künstlerischen und intellektuellen Bedeutung des Wortes kann durchaus Innovation miteinbeziehen, während Kultur als Lebensweise im Allgmeinen nur eine Frage der Gewohnheit ist.“ Der Literaturwissenschaftler und Kulturtheoretiker Terry Eagleton ist Professor für Englische Literatur an der University of Manchester und Fellow der British Academy.

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Vertrauen ist der Motor für die menschliche Kooperation

Spontaneität sowie automatisches und schnelles Reagieren gehören zu den wichtigsten Merkmalen emotionaler Rückmeldungen. Eyal Winter ergänzt: „In vielen Fällen ist schnelles Reagieren sogar einer der Vorteile, den emotionales Verhalten gegenüber bedächtigem Abwägen birgt.“ Schnelligkeit und Unwillkürlichkeit von Reaktionen sind im sozialen Umfeld äußerst wichtig. Vertrauen ist ein Motor für die Kooperation zwischen einzelnen Menschen. Kooperation wiederum ist ein Antrieb zu wirtschaftlichem Wachstum und gesellschaftlichem Wohlergehen. Und Vertrauen setzt Glaubwürdigkeit voraus. Ohne Glaubenswürdigkeit kann auf lange Sicht kein Vertrauen bestehen; und ohne Vertrauen wird Glaubwürdigkeit schließlich zerstört. Wenn in einem sozialen Umfeld praktisch kein Vertrauen existiert, ist es sinnlos, Glaubwürdigkeit aufbauen oder aufrechterhalten zu wollen. Eyal Winter ist Professor für Ökonomie und Leiter des Zentrums für Rationalität an der Hebräischen Universität von Jerusalem.

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Der Kern der Selbststeuerung eines Menschen ist die Freiheit

Der Kern der Selbststeuerung eines Menschen ist die Freiheit. Ihre Einengung durch äußere oder innere Zwänge ist ein dem freien Willen entgegengesetztes Vorhaben. Joachim Bauer erklärt: „In einer Welt, deren Freiheitsgrade ohnehin abnehmen, stoßen Moralapostel, die dem Fundus schon vorhandener Regeln noch ihre eigenen hinzufügen wollen, auf keine Sympathie.“ Joachim Bauer findet es wunderbar, in einem freien Land wie Deutschland zu leben, in dem es jedem selbst überlassen bleibt, nach seiner Fasson selig zu werden. Die Gene eines Menschen steuern nicht nur, sie werden auch gesteuert. Gene sind nicht „egoistisch“, sondern Kooperatoren und Kommunikatoren. Sie stehen in einem ständigen molekularen Dialog mit Signalen, die ihnen aus ihrer Umgebung entgegenkommen. Der Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut Joachim Bauer lehrt an der Universität Freiburg.

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Entscheidungen sind oft mit Schmerz und Verzicht verbunden

Alle Entscheidungen, Probleme und Konflikte sind für Reinhard K. Sprenger Wachstumschancen. Aber sie sind oft mit Schmerz und Verzicht verbunden. Was das Entscheiden so schwierig macht, ist die Illusion, es müsste leicht gehen, ohne Schmerz. Viele Menschen hängen an der Vorstellung, der ideale Arbeitsplatz, der ideale Chef, der ideale Partner warteten auf sie. Es ist natürlich nicht einfach, Vereinbarungen einzuhalten – vor allem die mit sich selbst. Reinhard K. Sprenger ergänzt: „Es ist manchmal auch schwierig, sich an Spielregeln zu halten, insbesondere in Zeiten, in denen das Brechen von Spielregeln für Autonomie gehalten wird.“ Herausforderungen und Schwierigkeiten, Gewohnheiten und Überlebtes aufgeben, alte Denk- und Verhaltensmuster ablegen: All das wird von vielen als unangenehm empfunden – und gemieden. Reinhard K. Sprenger ist promovierter Philosoph und gilt als einer der profiliertesten Managementberater und Führungsexperte Deutschlands.

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Die Ungleichheit in Deutschland hat zugenommen

Deutschland ist ein gespaltenes Land geworden. Während die Reichen immer reicher werden, stagnieren die Einkommen der unteren Hälfte. Die Mittelschicht schrumpft, der Aufstieg ist schwieriger geworden. Und die breite Masse der deutschen Bevölkerung verfügt über keine nennenswerten Ersparnisse. Alexander Hagelüken weiß: „Zwei Drittel der deutschen Ökonomen konzedieren, dass die Ungleichheit zugenommen hat.“ In vielen Industriestaaten hat jene Hälfte der Gesellschaft, die nur einen Bruchteil des Vermögens besitzt, kaum vom Wachstum profitiert, kritisiert die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD): „Wenn so etwas passiert, zerfasert das soziale Gefüge.“ Es ist Zeit für die etablierten politischen Parteien, in Deutschland einen neuen Gesellschaftsvertrag zu verankern, der den wirtschaftlichen Erfolg besser aufteilt. Alexander Hagelüken ist als Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung für Wirtschaftspolitik zuständig.

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Essen hat sich zu einer Ersatzreligion entwickelt

Kaum etwas ist den Deutschen so heilig wie ihr Essen, oder besser gesagt wie das, was sie nicht essen. Die Zahl der Menschen, die sich verweigern, wächst ständig: dem Fleisch, dem Fisch, den tierischen Eiweißen, dem Gluten, der Laktose, den Kohlenhydraten. Kaum einer Handlung des Alltags wird inzwischen größere Bedeutung zugemessen als der täglichen Aufnahme der Nahrung. Der Vegetarierbund Deutschland (Vebu) vermeldet stolz die Zahl von 7,8 Millionen Vegetariern und fordert die Nutzer seiner Website zur Unterstützung auf: „Verändern Sie mit uns die Welt! Schaffen Sie einen wertvollen Wandel in der Gesellschaft.“ Starkoch Vincent Klink dagegen meint: „Es müsste ein Missionierungsverbot geben für Religion und Essen.“ Tatsächlich hat sich beim Essen etwas ganz grundsätzlich verschoben. Auf der einen Seite sind so viele, so sichere und so billige Lebensmittel vorhanden wie noch nie.

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Matthias Horx stellt die die Zukunft von Liebe vor

Matthias Horx hat mit „Future Love“ das erste Buch vor, dass sich aus Sicht der Trend- und Zukunftsforschung dem Thema Liebe widmet. Er untersucht die Prozesse der Wandlung in Liebe, Partnerschaft und Familie und entwickelt ein Panorama der kommenden Liebeskultur, das von der totalen Digitalisierung der Leidenschaft bis zur „Liquid Love“ reicht. Zuvor erklärt Matthias Horx auf der Basis neuer Erkenntnisse von Psychologen, Neurologen und Sozialwissenschaftlern, welche Macht die Liebe über einen Menschen ausübt und was genau geschieht, wenn zwei Menschen ineinander verliebt sind. Der Zukunftsforscher hat sein Buch in drei große Abschnitte gegliedert. Teil 1: Vergangenheit: Wie die Liebe in die Welt kam. Teil 2: Gegenwart: Liebe in Zeiten der radikalen Individualisierung. Teil 3: Zukunft: Drei Szenarien der futuristischen Liebe. Matthias Horx ist der profilierteste Zukunftsdenker im deutschsprachigen Raum.

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Serge Latouche geißelt die Maßlosigkeit des Wirtschaftssystem

Laut Professor Dominique Belpomme (französischer Krebsforscher) sind fünf Szenarien denkbar, wie die Menschheit aussterben könnte: Erstens durch einen gewaltsamen Selbstmord wie etwa einem Atomkrieg. Zweitens durch den Ausbruch extrem schwerer Krankheiten, wie zum Beispiel einer Pandemie oder Unfruchtbarkeit aufgrund eines nicht reversiblen demografischen Verfalls. Drittens durch die Erschöpfung der natürlichen Ressourcen. Viertens durch die Zerstörung der Artenvielfalt und fünftens durch die extremen physikalisch-chemischen Veränderungen der anorganischen Umwelt wie das Verschwinden des stratosphärischen Ozons und den zunehmenden Treibhauseffekt. Für Serge Latouche gehen solche Überlegungen an dem Hauptproblem vorbei: „Der Logik der Maßlosigkeit unseres Wirtschaftssystems.“ Serge Latouche ist ein französischer Ökonom und Philosoph, Professor a.D. der Universität Paris-XI und gilt als einer der Vertreter des Konzepts der Rücknahme des Wirtschaftswachstums.

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Die „Lucinde“ löste einen regelrechten Literaturskandal aus

Von zentraler Bedeutung in der Literatur der Romantik waren die literaturtheoretischen und literaturkritischen Arbeiten von Friedrich Schlegel. In seinen „Fragmenten und Ideen“ formulierte er in pointierter Form die romantische Kunst- und Lebensanschauung. Berühmt wurde er vor allem durch sein Romanfragment „Lucinde“ (1799). Dieser Text, der Friedrich Schlegel den Vorwurf der Obszönität einbrachte, gegen den ihn Friedrich Schleiermacher in seinen „Vertrauten Briefen über Lucinde“ (1800) vergeblich zu verteidigen suchte, löste einen regelrechten Literaturskandal aus, durch den die romantische Bewegung als Ganzes in die Schusslinie geriet. So war für Friedrich Schiller die „Lucinde“ ein „Gipfel moderner Unform und Unnatur“. Er sah in dem Roman all die Tendenzen ausgeprägt, gegen die Johann Wolfgang von Goethe und er selbst sich verwahrten. Tatsächlich war die „Lucinde“ ein Versuch Friedrich Schlegels, seine ästhetische Theorie in einem Text zu verwirklichen.

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Stress testet die eigenen psychischen Grenzen

Der Begriff Stress stammt ursprünglich aus der Physik und beschreibt die Belastungsgrenze von Materialien. Auch in der Psychologie ist die Bedeutung der Belastung zentral. Stress testet die eigenen psychischen Grenzen. Guy Bodenmann erklärt: „Während man in Zeiten normaler Belastung in der Regel eine größere Leistungsfähigkeit aufweist, ist diese in Zeiten von chronischem Stress niedriger, weil der Stress selbst Ressourcen beansprucht und entsprechend wenige Energie zur Verfügung steht. Stress führt beim Menschen wie bei Materialen zum Einbruch.“ Stress kann in verschiedenen Bereichen erlebt werden. In je mehr Bereichen man sich belastet fühlt, desto stärker wird im Allgemeinen das Stresserleben. Es kann aber auch sein, das man nur in einem Bereich Stress erfährt, doch diesen sehr intensiv empfindet, weil er eine große Relevanz aufweist. Guy Bodenmann ist Professor für Klinische Psychologie an der Universität Zürich.

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Die Wutwähler fühlen sich von den Einwanderern bedroht

Die Wutwähler aller Länder fühlen sich von Einwanderern bedroht im Kampf um die verbliebene Arbeit, ganz im Gegensatz zu den gut ausgebildeten Eliten. Die weiße amerikanische Unterschicht sieht sich von hispanischen Einwanderern bedroht, während die gut Ausgebildeten Zuwanderung oft begrüßen, weil sie dem Wachstum nützt, der Demografie oder dem kulturellen Reichtum einer Gesellschaft. Das Gefühl, von der Politik vergessen worden zu sein, dominiert bei den Wutwählern aller Länder – unabhängig davon, welche Regierung gerade am Ruder ist. David Brooks, Kolumnist bei der New York Times, schreibt: „Wenn Menschen den Eindruck haben, dass ihre Welt verschwindet, werden sie zu einer leichten Beute für faktenfreies magisches Denken und Demagogen, die Einwanderer beschuldigen. Die Eliten haben zu viel gewollt, und nun geht die Geschichte in die entgegengesetzte Richtung.“

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